TAZ-ADVENTSKALENDER: HERMANNSTRASSE 20
: „OmU“ im Neuen Off

20. DEZEMBER Jedes Haus hat eine Nummer. Doch was dahintersteckt, wissen nur wenige. Zum Glück gibt es Adventskalender: Da darf man täglich eine Tür öffnen – und sich überraschen lassen

Man braucht schon sehr viel Fantasie, sich vorzustellen, dass hinter der Haustür Hermannstraße Nr. 20 teure Hollywoodstreifen von der Leinwand flimmern. Zu profan, zu alltäglich, zu berlinerisch ist der Eingang in das ebenso profane Neuköllner Mietshaus. Zu ein paar Independent- oder Dokumentarfilmern passt die Fassade schon eher, weshalb auch mehrheitlich Cineasten und nicht Blockbuster-Fans zu den Besuchern des Kinos Neues Off in der Nummer 20 gehören. Derzeit läuft „Das Salz der Erde“; ein Filmporträt von Wim Wenders über den brasilianischen Fotografen Sebastião Salgado. Das passt.

Das Neue Off ist ein Arthouse-Filmtheater, das zur Yorck-Kinogruppe gehört. Das Programm ist auf internationale Filme im Original mit Untertiteln (OmU) spezialisiert. Gleich neben dem Hauseingang für die Mieter tut sich ein zweites Entree zum Kino auf mit altmodischen Vitrinen für die Plakate und Filmfotos sowie mit der ebenso altmodischen Titelanzeige darüber.

Und es wird sogar noch historischer: Wer einmal im Neuen Off war, wird sich immer an den originalen roten Sarotti-Tresen aus den 50er Jahren im kleinen Foyer erinnern. Tickets und Schokolade, eine Cola oder Erdnüsse gibt es hier, Klönen inklusive. An ein, zwei Tischchen kann man auf den Beginn der Vorstellung und Freunde warten. Kommen viele Besucher, wird es eng vor dem Tresen, die Luft ist zum Schneiden. Trotzdem ist alles sehr sympathisch. Auch, weil keine Multiplex-Atmosphäre nervt.

Glorreiche Kino-Ära

Das Neue Off ist das letzte Kino aus der glorreichen Neuköllner Film- und Kinoära. In Neukölln siedelten sich nach dem Ersten Weltkrieg die Kopierwerke Geyer an, die Filmindustrie blühte, riesige „Lichtburgen“ in der Sonnenallee und Hermannstraße – darunter der Stern oder der Mercedes-Palast (1927) mit über 2.500 Plätzen – eröffneten.

1919 entstand in der Nähe des Hermannplatzes erst ein Varieté-Theater, ab 1926 wurde das „Rixi“ als Kino umgenutzt. Wie heute passierte man das Mietshaus durch einen Gang und kam dann in den Kinosaal der Rixdorfer-Lichtspiele im Hinterhaus.

In der Zeit des Kinosterbens in den 1970er Jahren wurde das Haus als „Eros Cine Center“ genutzt. 1979 übernahm die Yorck-Kinogruppe das „Off“ und benannte es 1998 nach einer umfassenden Renovierung in Neues Off um. Der Saal wurde im Stil der Nachkriegsjahre restauriert, die Deckenfriese wiederhergestellt. Die Wände sind mit beigen und grünen Stoffen bezogen. 187 Plätze und eine neue Technik wurden installiert.

Sicher, wer Filme in 3-D oder Blockbuster auf Mega-Leinwänden sehen will, ist hier falsch. Der Charme des Neuen Off liegt in seinen Reminiszenzen an die großen Zeiten des Kinos und der Filmkultur. Im Programm bildet das Arthouse-Kino dieses Konzept weiter ab, welches das „alte“ Off mit seiner Pflege europäischer und deutscher Filmkunst begonnen hatte. Seit 2007 ist das Neue Off auch Veranstaltungsort der Türkischen Filmwoche – man spielt ja schließlich in Neukölln.

ROLF LAUTENSCHLÄGER