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Neonazis tauchen unter

SICHERHEIT 30 per Haftbefehl gesuchte Rechtsradikale sind laut Senatsverwaltung für Inneres unauffindbar. Die Opposition fordert höheren Fahndungsdruck

„Von diesen Menschen geht eine Gefahr für die Bevölkerung aus“

HAKAN TAS, LINKSFRAKTION

VON MALENE GÜRGEN

Die Zahl der untergetauchten Neonazis in Berlin hat sich mehr als verdoppelt. 30 Personen aus dem rechtsradikalen Spektrum werden im Moment per Haftbefehl gesucht, im Mai waren es noch 14 Personen. Nach 9 der 30 Rechtsradikalen wird bereits länger als ein halbes Jahr gefahndet. Das geht aus der Antwort der Senatsverwaltung für Inneres auf eine schriftliche Anfrage der Grünen-Abgeordneten Clara Herrmann hervor.

Bei vier Personen, die bereits länger als ein Jahr gesucht werden, liegen zudem konkrete Anhaltspunkte vor, dass sie sich im Ausland befänden, heißt es in der Antwort der Senatsverwaltung. Herrmann, Sprecherin ihrer Fraktion für Strategien gegen Rechtsextremismus, zeigte sich angesichts der neuen Zahlen empört und forderte ein stärkeres Engagement der Innen- und Justizverwaltung.

Gegen einige der gesuchten Personen gibt es gleich mehrere offene Haftbefehle, insgesamt liegt deren Zahl deswegen bei 39. Neun Haftbefehle wurden wegen „Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen“, wie etwa dem Zeigen des Hitlergrußes, erlassen. Drei Haftbefehle sind wegen gefährlicher Körperverletzung ergangen, ebenso viele wegen Bedrohung. Jeweils zwei Haftbefehle beziehen sich auf Beleidigung und Sachbeschädigung, weitere Delikte sind Raub, sexueller Missbrauch, Trunkenheit im Verkehr und Hausfriedensbruch – nicht bei allen Taten ist also von einer politischen Motivation auszugehen.

Nach Auskunft des Polizeisprechers Stefan Redlich lasse sich ein Teil der offenen Haftbefehle dadurch erklären, dass diese erst kürzlich erlassen wurden und es Zeit brauche, den Wohnort des Gesuchten zu ermitteln. Eine Reihe der gesuchten Personen sei außerdem dem „Obdachlosen- und Trinkermilieu“ zuzurechnen, durch den fehlenden festen Wohnsitz werde die Suche folglich erschwert.

„Es ist mehr als erstaunlich, dass die zuständigen Behörden offenbar noch keine Spur von den Gesuchten haben“, sagt hingegen der innenpolitische Sprecher der Linksfraktion, Hakan Tas. Neonazis, die wegen Delikten wie gefährlicher Körperverletzung gesucht werden, müssten zur Zielfahndung ausgeschrieben werden. „Von diesen Menschen geht eine Gefahr für die Bevölkerung aus“, so Tas, „es ist sehr besorgniserregend, wenn sie für die Sicherheitsbehörden nicht auffindbar sind“. Spätestens seit dem Bekanntwerden des NSU müsse klar sein, welches Gefahrenpotenzial von untergetauchten Neonazis ausgehe. „Die Sicherheitsbehörden müssen hier dringend ihren Aufgaben nachkommen“, so Tas.

Aus der Antwort der Senatsverwaltung für Inneres geht zudem hervor, dass im Jahr 2014 insgesamt 114 Haftbefehle gegen Rechtsradikale ergangen sind. In 18 Fällen ging es dabei um Körperverletzung, davon elfmal schwere Körperverletzung. 24 Haftbefehle bezogen sich auf das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. Da in Berlin erst seit Herbst 2013 erfasst wird, wie viele der ergangenen Haftbefehle sich gegen Personen richten, die dem rechten Spektrum zuzuordnen sind, lässt sich diese Zahl nicht in einen Vergleich mit Zahlen aus den Vorjahren setzen. Gegen Mitglieder der rechtsradikalen Szene vollstreckt wurden in diesem Jahr nach Auskunft der Innenverwaltung insgesamt 94 Haftbefehle, jeweils 19-mal ging es um verfassungswidrige Kennzeichen sowie um Diebstahl.

Vor mehreren Wochen war bekannt geworden, dass dem Berliner Verfassungsschutz Hinweise auf einen bewaffneten Neonazi aus dem Pankower Ortsteil vorliegen, der auf einem Treffen von Rechtsradikalen zu Gewalt aufgerufen haben soll. Bis heute gibt es zu der Identität des Mannes oder einer möglichen Verfolgung durch die Sicherheitsbehörden keine weiteren Angaben.

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