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Golddigger der Flohmärkte

MUSIK Unwürdige Szenen bei der Suche nach seltenen Platten

Andreas Hartmann

■ 43, taz-Autor, feiert mit Nachbarn und Bruder. Geschenke müssen nicht sein. Um die Häuser ziehen am späteren Abend wäre schön, wird aber wahrscheinlich wieder nichts.

Ich bin Plattensammler. Als solcher fährt man heute fast nirgendwo mehr Coolness-Credits ein, sondern wird ähnlich belächelt wie Liebhaber von Münzen, Bierdeckeln oder Überraschungseiern. Auch Frauen bleiben im Normalfall unbeeindruckt, wenn man ihnen verspricht, die Plattensammlung zu zeigen.

Trotzdem gibt es viele von uns. Andere Plattensammler, die es verstehen, wenn man Platten wäscht, in Plastikschutzhüllen steckt und im Extremfall sogar bügelt. Und die wissen, welcher Kick das ist, an einem regennassen Tag auf dem Flohmarkt am Schöneberger Rathaus endlich diese ganz bestimmte Erstpressung in einer staubigen Kiste zu finden. Besser als alle Drogen dieser Welt und Knallersex noch obendrauf ist das, mindestens.

Und so mache ich mich Wochenende für Wochenende auf, immer an dieselben Stellen in der Stadt, in Gesellschaft der immergleichen Typen nach Platten zu diggen, wie das in der Fachsprache heißt (die Frauenquote bei dieser Beschäftigung liegt bei null).

Es ist wie in „Und täglich grüßt das Murmeltier“: Am Wochenende irre früh aufstehen, losziehen, Kisten durchwühlen, mäßig interessanten Smalltalk mit der Konkurrenz führen, mit der man sich durch eine tiefe Hassliebe verbunden fühlt. Wir alle hoffen auf den großen Fund oder wenigstens auf eine seltene Platte von Miles Davis. Immer wieder, immer weiter – diese Hoffnung wird nie sterben, weil es immer Platten geben wird, die man halt auch noch braucht.

Im Prinzip geht es in einem sich ewig wiederholenden Ritual darum, Erster an einer Plattenkiste zu sein – denn wer in der Schlange steht, bekommt kaum noch etwas ab. Allerlei unwürdige Szenen spielen sich zur Erreichung dieses Ziels ab. Manche haben Helfer, Söhne oder sogar die Mutter dabei, die ganze Kisten vor der Konkurrenz abschirmen sollen.

Derjenige, der die jungfräuliche Kiste dann zerpflücken darf, geht sie gern gleich noch ein zweites Mal durch. Und dann noch mal. Er ist der Herr der Kiste, das sollen die anderen ruhig mitkriegen. Anstrengend sind auch Digger, die jede einzelne Platte akribisch studieren, während hinter ihnen die Schlange der Wartenden wächst. Wahrscheinlich geht es bei diesem Manöver darum, den Willen der Konkurrenz zu brechen Aber das gelingt nicht: Man steht stumm da und hofft einfach weiter, dass dieser Idiot doch bitte wenigstens eine einzige tolle Platte übersehen möge.

ANDREAS HARTMANN

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