: Offene Orte für alle
BAUERBE Der Tag des Offenen Denkmals am Sonntag bietet die Chance zu spannenden Besichtigungen und kontroversen Disksussionen – etwa über die Herolde am Rathaus
Von HENNING BLEYL
Gnädig blickt Wilhelm I. von der Wand herab, seine Marmoraugen sind auf den Sohn gerichtet. Das ist Friedrich III., der nebst Gattin von der anderen Seite her äugt. Nur Wilhelm II. fehlt in Bremens Kaisersaal, obwohl der von allen preußischen Potentaten doch am liebsten vor Ort war: In Bremerhaven konnte man man so schön die Fortschritte der Marine-Aufrüstung besichtigen oder „Hunnenreden“ halten.
In den Kaisersaal in der Hauptpost hat sich zeitlebens allerdings keiner der drei in Frage kommenden Namenspatrone verirrt. Dafür hielt hier der kaiserliche Oberpostmeister Hof. Bis in die 90er-Jahre hinein mussten sich die marmornen Majestäten auch die Gesänge des Postchors anhören, der sich dort zur wöchentlichen Probe traf. Was für Kaisers wohl weniger musikalisch eine Zumutung war – schließlich wurde das Traditionsensemble zuletzt von Hartmut Emig geleitet –, sondern weil der mittlerweile eingegangene Postchor Teil der Arbeitermusikbewegung war.
Diesen Sonntag darf sich jeder durch den prächtigen Saal bewegen. Darf sich am gewaltigen Lüster erfreuen, den Stuck bewundern und angesichts der fünf Wandbilder des Bremer Malerfürsten Arthur Fitger über die Frage meditieren, wo sich in all der antikisierten Nacktheit Postalisches verbirgt. Immerhin, ein Horn ist hinter schwellenden Brüsten durchaus auszumachen. Wer eher zu Geschichtlichem ein erotisches Verhältnis hat, wird sich an der Frage delektieren, warum der kaiserlicher Adler ausgerechnet in den brandenburgisch-preußischen Farben dargestellt ist. Aber auch in den alphabetisch organisierten Abläufen des modernen Föderalismus liegen Brandenburg und Bremen ja unmittelbar nebeneinander.
All diese reichen Sinneseindrücke und Assoziationen werden möglich durch den Tag des offenen Denkmals. Zum 18. Mal bietet sich die Gelegenheit, Bremer Bauten zu betreten, die sonst kaum zugänglich sind. Schwerpunkt ist diesmal das 19. Jahrhundert. Das Programm, vom Landesdenkmalamt mit „Romantik, Realismus, Revolution“ betitelt, umfasst neben dem ehemaligen Postamt 1 an der Domsheide mit seinem Kaisersaal natürlich auch das gegenüberliegende Landgericht, die im Inneren sehr eindrucksvolle Baumwollbörse sowie die 1875 gebaute Silberwarenmanufaktur Koch & Bergfeld am Neustädter Kirchweg. Die Katholiken, die das alte Postamt mittlerweile als Sek-II-Schule nutzen, steuern noch ein weiteres wichtiges Gebäude bei: das benachbarte Landherrenamt. Hier wurden bis 1945 die bremischen Umlandgemeinden verwaltet, seit 1980 Grundschüler unterrichtet – gerade hat die Kirche das Haus umfangreich renovieren lassen.
Mit seiner Neo-Renaissance-Fassade, das den Eingang zum Schnoor markiert, ist das Landherrenamt ein typischer Tupfen des 19. Jahrhunderts in Bremen – eine Epoche, auf die das Adolf Loos-Verdikt „Ornament ist Verbrechen“ mehr zutrifft als auf viele anderen. Landesdenkmalpfleger Georg Skalecki wirbt nichtsdestoweniger um Wertschätzung: „Man muss das nicht lieben, aber respektieren!“
Das 19. Jahrhundert „ins rechte Licht zu rücken“, wie Skalecki formuliert, ist das Eine – dessen Denkmäler an den richtigen Platz zu rücken, wäre ebenfalls verdienstvoll. Das betrifft beispielsweise die beiden „Herolde“, die seit 2005 am Osteingang des alten Rathauses aufgestellt sind. Sie sind wunderbare Exponate des im 19. Jahundert wurzelnden Historismus: als hollywoodesker Kostüm-Kitsch, als Mittelalter-Attrappen, die das wunderbare gotische Rathaus zur Kulisse einer wilhelministischen Popanz-Parade herabwürdigen. Eine Lösung läge bemerkenswert nah: Die Verrückung der beiden Reiter um etliche Meter, so dass sie den Eingang des neuen Rathauses flankierten. Der könnte nicht nur einen Windschutz gut gebrauchen, sondern stammt auch aus derselben Zeit wie die beiden Reiter.
Bislang allerdings ist der Landeskonservator von dieser Idee nicht begeistert: Zwar hätten die Herolde seinethalben „ruhig im Garten der Egestorff-Stiftung bleiben können“, er sei seinerzeit keineswegs „eine Speerspitze“ im bürgerschaftlich getragenen Bemühen gewesen, die beiden Reiter vor dem heutigen Unesco-Weltkulturerbe aufzustellen. Da sie aber bis 1942 dort bereits standen, müsse man die „Diskrepanz akzeptieren“ zwischen Historismus und Gotik, meint Skalecki. Allerdings kamen Rudolf Maisons Herolde erst 1904 vor das Rathaus – was angesichts von dessen 600-jähriger Geschichte keine allzu lang gewachsenen historische Schicht darstellt. Der Tag des Offenen Denkmals ist nicht nur diskussionsanregend, sondern in diesem Jahr auch besonders dazu angetan, nach Bremen-Nord zu reisen. Dort kann man, beginnend mit der ehemaligen Schiffszwieback-Bäckerei Harbers/Schnatmeyer in Vegesack, eine ganze Reihe von Kapitänshäusern bis hin zur Reedervilla Bischoff besichtigen. Das prunkvolle Haus, 1886/87 gebaut, verfügt über das Argonautenzimmer mit seinen umlaufenden Holzreliefs – Bischoff war Gründer der Argo-Reederei. Von dort bis zum selten zugänglichen neogotischen Leuchtturm von 1863 am Neuen Hafen in Bremerhaven ist es inhaltlich nur noch ein kleiner Schritt. Streckentechnisch schon, aber der Denkmaltag lohnt eben die verbindende Fahrt durchs ganze Bundesland: Loschen ist sowohl Erbauer der Friedenskirche im Viertel als auch der Großen Bremerhavener Kirche.
Sonntag ist schließlich auch eine der wohl letzten Gelegenheiten, die Vegesacker Villa Fritze zu besichtigen. Das frühere Ortsamt, eine historische Kaufmannsvilla samt Aussichtspavillon, wurde an Privat verkauft.
Eröffnung des Denkmaltages mit programmatischen Beiträgen von Kulturstaatsrätin und Landeskonservator: Sonntag, 11 Uhr, im Postamt an der Domsheide. Das Gesamtprogramm inklusive Nachzügler-Termine, die im gedruckten Flyer nicht berücksichtigt sind: www.denkmalpflege.bremen.de. Zum Teil mit Anmeldung
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