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Die Tonspur im Rampenlicht

Von Punk über Jazz bis zur Avantgarde: Zum ersten Mal beschäftigt sich diese Woche mit „Unerhört!“ ein Festival in Hamburg ausschließlich mit Filmen zum Thema Musik. Zu sehen sind 19 Dokumentationen und Musikfilme

Mit „Unerhört!“ findet in den nächsten Tagen zum ersten Mal ein Festival in Hamburg statt, dass sich ausschließlich mit Filmen zum Thema Musik beschäftigt. Insgesamt werden im 3001 und in den Zeise-Kinos 19 Filme rund um MusikerInnen, Bands und ihre Werke gezeigt. Es geht um Festivals, Szenen oder Musikbewegungen; um das Verhältnis und die gegenseitigen Einflüsse verschiedener Subkulturen untereinander und in Bezug zur so genannten Hochkultur. „Es gibt so viele in der Popkultur vergrabene Filmschätze – wir sehen unsere Aufgabe darin, sie zu heben“, sagt das Veranstalterteam.

Einer dieser Schätze ist „The White Thread“, der in Deutschland zum ersten Mal zu sehen ist. Khahil Benikrane begleitet in seiner Doku den in den USA lebenden DJ und Produzenten Cheb I Sabbah nach Marokko. Der kommt dort mit einer klaren Vorstellung von vermeintlich kulturell bedingt sanfteren Frauen an und begibt sich auf die Suche nach traditioneller Maghreb-Musik mit weiblichen Gesängen. Sabbah nimmt diese auf und bringt sie mit elektronischer Musik gemischt auf die Bühne. Das Ergebnis ist schon beim ersten Lied, „Thoura Thoura“, überwältigend. Benikrane hat die Aufnahmen im Studio gegengeschnitten mit einem späteren Konzert. Dort tanzen junge marokkanische Städterinnen begeistert zur elektronisch geremixten ländlichen Musik.

Zu sehen ist auch „In Heaven There’s No Beer?“ von Les Blank. Der US-Independent-Filmer hat schon genug Musik-Dokus gedreht, um allein ein ganzes Festival-Programm zu bestreiten. „In heaven there is no beer, that’s why we are drinking here“, singt frohsinnig begleitet von einer Polka-Gruppe einer zu Beginn des Films. Mit viel Empathie wird die „Polish Power“ gezeigt, Polka als partikulare Teilkultur der patriotischen USA: „American first, Polish always“. Tagelanges ausgelassenes Tanzen auf Polka-Festen, um erfrischt an die Arbeit zurückzukehren. Der Film hinterfragt die Segregation nicht. Die Polka-Feste sind fest in blonder Hand. Dass Subkulturen Teile des Mainstreams sind, kein emanzipatorischer Gegenentwurf, sondern Ausdruck von Partikularinteressen, lässt sich hier heraussehen und -hören.

Das Gegenteil behauptet „My Generation – Der Sound der Revolte erzählt in 15 Songs“. Diese wunderbar überraschende assoziative Collage von Oliver Schwabe, in der Bill Haley, „Hansaplast“ und viele andere bei ihrem musikalischen Aufbegehren gezeigt werden, durchzieht eine These: Subkulturelle Musik ist Rebellion gegen die Verhältnisse. Schön zu sehen, wie Rudi Dutschke sich gegen staatstragende Parteien ausspricht, die nicht den Sozialismus propagieren. Dahinter geschnitten ist ein Konzertmitschnitt von „Have You Seen Your Mother Baby“, auf dem neben Mick Jagger noch Brian Jones zu sehen ist. Rebellisch, yeah! Für den Zweifel steht demgegenüber Kristof Schreuf, der zur E-Gitarre, allein vor einer weißen Wand, von ihm selbst neu vertonte Lieder der Revolte spielt. Schon als Sänger von „Kolossale Jugend“, in einer Aufnahme von 1981 zu sehen, ist er eher nachdenklich: „Sprengt die Wohnung in meinem Kopf!“

GASTON KIRSCHE

Do, 23. 8.–So, 28. 8., Zeise-Kinos und 3001. Infos und Programm: www.unerhoert-filmfest.de

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