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Freundschaftskiller Cybermobbing

PRÄVENTIONSTHEATER Seit zehn Jahren arbeitet Eukitea in Berlin an Theaterstücken für Kinder und Jugendliche. Es geht um Liebe, Gewalt und andere aktuelle Konfliktzonen wie etwa Cybermobbing. Ausgerichtet sind die Stücke dabei immer auf eine lebensbejahende Sensibilisierung

Die Schüler lachen, auch aus Verlegenheit, weil sie sich ein wenig ertappt fühlen

VON SASKIA HÖDL

Der graue neonbeleuchtete Turnsaal in der Evangelischen Schule Neukölln sieht aus, wie ein Turnsaal aussehen muss – heute würde man wohl Vintage dazu sagen. Der Spielstand der letzten Sportstunde steht noch auf der grünen Tafel, die hölzernen Turnringe baumeln von der Decke und die milchig verglasten Oberlichter halten das Licht eher ab, als es hereinzulassen. Der Lärm ist ohrenbetäubend, als die 120 Kinder in den Saal laufen. Sie sind etwa zwölf oder dreizehn Jahre alt, sie besuchen die siebte Jahrgangsstufe. Ein Junge reißt im Lauf fast einen Scheinwerfer um.

Die Schüler setzen sich, einige rutschen unruhig auf den Langbänken vor der Bühne herum, als der Schuldirektor in ein paar Sätzen das folgende Kindertheaterstück ankündigt, es ist die Premiere. Es sind auch einige Lehrer und Vertreter von Schülerberatungsstellen gekommen, um das Stück zu sehen, denn es handelt sich um Präventionstheater. Ein unangenehm klingendes Wort, das wohl bei Kindern, Jugendlichen und auch vielen Erwachsenen ein reflexartiges inneres Augenrollen hervorruft. Aber man darf mehr erwarten, denn es sind hier Profis am Werk. Eukitea heißt die Theatergruppe, die sich unter der Leitung von Stephan und Heidrun Eckl auf diese Art von Theater spezialisiert hat.

Mobiler Spielbetrieb

Bei Augsburg gibt es sie schon seit 30 Jahren, das Berliner Projektbüro und der mobile Spielbetrieb feierten gerade zehnjähriges Jubiläum. Das Theaterensemble bietet eine Reihe von Stücken an, thematisch abgestimmt auf verschiedene Altersgruppen. Von Liebe über Gewalt bis hin zur Wahrnehmung des Körpers ist alles dabei. Die Stücke sind ausgerichtet auf eine lebensbejahende Sensibilisierung.

In der Neuköllner Schule wird an diesem Tag ein Stück aufgeführt, das noch keinen Namen hat, den sollen später die Kinder vorschlagen – am Ende heißt es „I Like You“. Es geht um Cybermobbing, ein Thema, bei dem Schulen und Eltern bei der Frage, wie damit denn nun umzugehen ist, noch in den Kinderschuhen stecken.

Die Requisiten des Stücks sind übersichtlich: drei Drehstühle, ein Mikrofon und als Hintergrund ein weißer Raumteiler. Es kommen drei Schauspieler auf die Bühne, eine junge Frau und zwei junge Männer. Sie spielen je zwei Rollen, um eine ganze Clique von fünfzehnjährigen Schülern darzustellen. Die Schauspieler zeichnen Bilder der verschiedenen Persönlichkeiten, die sich zu einer Gruppendynamik zusammenfügen: zwei coole Jungs, denen vieles egal ist, zwei nette Jungs, die gerne Computer spielen und mit einem Mädchen befreundet sind, die heimlich in einen der beiden verliebt ist.

Und ihre beste Freundin, die ganz schön frech ist. Am Lachen gemessen, scheinen die Kinder diese Rolle besonders ins Herz geschlossen zu haben. Auf den Drehsesseln mit dem Gesicht zum Publikum stellen die Schauspieler den Alltag von Jugendlichen dar. Sie zeigen, wie er zu einem sehr großen Teil vor Bildschirmen stattfindet, wie man ständig miteinander in Kontakt steht, was man alles zeigt und kommentiert. Die Schüler lachen, teils weil es witzig gemacht ist, teils auch aus Verlegenheit, weil sie sich ein wenig ertappt fühlen, wie sich später bei der Nachbesprechung mit dem Regisseur Olaf Dröge herausstellt.

Die Geschichte, die von der Eukitea-Theatergruppe hier erzählt wird, könnte in jeder Schule passieren. Ein Junge und ein Mädchen verlieben sich, sie verbringen einige Zeit zusammen, bis er plötzlich Schluss macht. Die Zuschauer wissen nicht genau, warum, das Mädchen weiß es auch nicht. Es ist traurig, verletzt und irgendwann verwandelt sich die Trauer in Wut.

Das Mädchen postet ein Foto von dem Jungen im Internet. Um es ihm heimzahlen. Es ist ein peinliches Foto, was genau darauf zu sehen ist, wird nicht klar, aber man kann es sich ausmalen. Der Junge wird von allen ausgelacht, er schämt sich, versteckt sich, und nur sein bester Freund hält zu ihm. Irgendwann löscht das Mädchen das Foto, es hat ein schlechtes Gewissen. Aber es ist schon zu spät. Die Sache hat sich längst verselbstständigt. Sogar Fremde machen sich im Internet über den Jungen lustig, es läuft aus dem Ruder.

Wie unangenehm es ist, von anonymen Personen ausgelacht zu werden, wird auf der Bühne mit Masken dargestellt. Die Kinder im Publikum sind still, erstmals lacht keiner mehr. Die Freundschaften unter den sechs Jugendlichen scheinen zerstört. Man spricht nicht mehr miteinander. Erst als sich alle ein Herz nehmen, einen Schritt aufeinander zugehen und sich gegenseitig verzeihen, beginnt eine Art Heilungsprozess.

Nach der Vorstellung erzählen die Kinder, wie es ihnen gefallen hat. Sie erzählen, was sie gut fanden und welche Parallelen sie zu ihrem Alltag sehen. Und viel wichtiger, sie erzählen, ab wann ihnen klar war, dass unter den Freunden etwas aus der Bahn läuft.

Etwas später treffen sich dann noch die Erwachsenen im Musikzimmer zu einer Feedbackrunde mit den Eukitea-Mitarbeitern. Bei Kaffee und Kuchen wird das Stück reflektiert. Der Regisseur will vom Schuldirektor, den Lehrern und Beratern wissen, was sie von der Vorstellung halten. Daniel Behrendt hat selbst zwei Söhne in diesem Alter. Er ist der Geschäftsführer des Landespräventionsrats Brandenburg – der neben der DKB-Stiftung die Entwicklung von „I Like You“ gefördert hat. Behrendt sagt, er fand gut, dass den Kindern gezeigt wird, dass es auch hier eine Art Happy End geben kann und die Welt nicht gleich untergeht.

Tatsächlich ist Cybermobbing ein sehr sensibles Thema, es geht um digitale soziale Ausgrenzung und Bloßstellen. Durch fehlende Information sinken bei Jugendlichen oft die Hemmschwellen, was keineswegs ein Problem ist, das nur Mädchen betrifft, wie es auch in dem Stück von Eukitea gezeigt wird.

Die Erniedrigung ist für die Jugendlichen oft untragbar, die Situation erscheint ausweglos und es entstehen Suizidgedanken, erzählt Philipp Behar-Kremer von der Berliner Cybermobbing Prävention. Man müsse einen sogenannten „No Blame Approach“ verfolgen, sagt der Sozialpädagoge. Den Jugendlichen einen Fehler vorzuwerfen, den sie nicht beheben können, sei Unsinn. „In der Realität kommt man aus Mobbing zwar selten ohne Hilfe heraus, aber es ist gut, den Schülern auch zu zeigen, dass sie es selbst in der Hand haben“, sagt Behar-Kremer. Für Eukitea sei genau das der richtige Weg, es ginge nicht darum, mit dem Zeigefinger zu winken, sagt Ruth Weyand, Schauspielerin bei Eukitea. „Wir wollen die Kinder und Jugendlichen ja zum Nachdenken bringen, nicht zum Heulen“, sagt sie.

Die Theatergruppe betreibt auch Workshops zur Vor- oder Nachbereitung. Auch Vorstellungen für Eltern werden manchmal veranstaltet. So wissen die Eltern, was die Kinder sehen und worüber sie mit ihnen reden können. Denn Eukitea soll einen Denkanstoß liefern – da, wo das Stück aufhört, sollten dann Eltern und die Schule weitermachen.

■ Mehr Informationen: eukitea.de Blog: mobbing.eukitea.de, cybermobbing-praevention.de

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