Dreißig Minuten, das war’s

SCHICKSAL Unsere Autorin hat im World Trade Center geheiratet. Jetzt stehen die Türme nicht mehr – und die Ehe ist gescheitert. Eine Non-Profit-Geschichte

VON JULIA NIEMANN

Auf die, für eine Berlinerin etwas ungewöhnliche Idee, im World Trade Center zu heiraten, kamen mein damaliger Freund und ich am 5. Februar 2000. Ich war Praktikantin in einer New Yorker Literaturagentur, im fünften Monat schwanger und blätterte das New Yorker Stadtmagazin Time Out durch.

„Was machen wir denn am Valentinstag?“, fragte ich meinen Freund. Gegenfrage: „Müssen wir da irgendwas machen?“ – „Im Time Out sind vierzehn Vorschläge, was man als Paar in New York unternehmen könnte. Nach Staten Island fahren. Im World Trade Center heiraten.“ – „Das wollten wir doch in Las Vegas“, sagte er. Ich: „Aber so sparen wir den Flug. Und überhaupt alles. Das ist nämlich umsonst.“

Wir verfassten ein ziemlich amerikanisch-kitschiges Bewerbungsfax an die PR-Crew des World Trade Center, in dem wir erklärten, dass die Größe unserer Liebe nur mit der des WTC vergleichbar sei, wir beide eigentlich Höhenangst hätten und uns, so wie es den Zwillingstürmen nachgesagt wird, ständig uneins darüber seien, wer denn nun größer ist. Die Zusage kam prompt. Wir waren mit etwa vierzig weiteren Paaren Teil eines 24-Stunden-Hochzeitsmarathons im 107. Stock des World Trade Centers. Sie nannten es das observation deck.

In den zehn Tagen bis zum Termin habe ich ein Kleid besorgt, mir die Haare bei einer Beautytussi zu Hause über der Badewanne für satte 150 Mark kurz schneiden lassen, einen winzigen Brautstrauß gekauft und an einem Straßenstand auf St. Marks Place zwei einfache Silberringe. Mein Freund und ich fanden unseren WTC-Plan spitze: vaterschaftsmäßig alles in trockenen Tüchern, kein Partyzwang, keine schmollenden Verwandten. Nur wir beide, kurz entschlossen, albern, besonders.

Der Morgen des 14. Februar 2000 war kalt, stürmisch und neblig. Es war zehn Uhr, Justice Frederic Berman war schon seit fünf Uhr morgens dabei zu vermählen, und er würde noch bis zum Abend beschäftigt bleiben. Wir und unsere fünf geladenen Freunde – inklusive Trauzeugen – bekamen Kaffee und Donuts, dann fuhren wir hinauf auf 420 Meter. Der Nebel hatte sich gelichtet und die Aussicht war groß-ar-tig.

Der Kunstblumengang zum Altar in Kombination mit dem Hochzeitsmarsch toppte meine kühnsten Vorstellungen. Mit den Worten „With this ring, my beloved, I do thee wed“ tauschten wir unsere Billigringe. Dann bekamen wir Tickets für ein Broadway Musical, eine DVD und eine Karte mit lebenslangem Valentinstag-WTC-Besuchsrecht geschenkt. 30 Minuten, das war’s.

ABC News hat über uns beide noch berichtet, während wir schon auf der Fähre nach Staten Island waren, um Burger essen zu gehen. Abends hatte ich von meiner Agentur eine Einladung zur Verleihung des National Book Award. Toni Morrisson war da, Annie Leibovitz, Saul Bellow und der Chefredakteur des New Yorker, David Remnick. Das Essen war gut, die Tischrunde amerikanisch freundlich. Aber wenn wir jemandem erzählten, wir hätten an diesem Morgen geheiratet, wandten sich die Leute entsetzt ab – als hätten wir eine ansteckende Krankheit oder wollten sie verarschen. Das Feiern von Hochzeiten wird in den USA ja nicht gerade dem Zufall überlassen. Wir fühlten uns dann also nach einer Weile recht einsam und fuhren nach Hause, vorbei am liebesrot angestrahlten Empire State Building. Erst später haben wir gesehen, dass wir in unserem Bewerbungsfax vor lauter Aufregung auch einmal „Empire State Building“ statt „WTC“ geschrieben haben – es hat wohl niemanden gestört.

Als anderthalb Jahre später die Flugzeuge in den Ort unserer Eheschließung donnerten, klingelte ununterbrochen das Telefon. Alle wollten uns ihr Beileid für das schlechte Omen aussprechen. Was soll man dazu sagen angesichts des Grauens? Wir haben dann jeden Hochzeitstag auf einem hohen Gebäude gefeiert – und zehn Jahre später unsere Ehe ebenfalls dem Erdboden gleichgemacht. Ground Zero. Wenn wir Ende dieses Jahres geschieden werden, werden wir uns auf einem hohen Gebäude die Hand geben. Hoffentlich.