SONJA VOGEL LEUCHTEN DER MENSCHHEIT: Links- und rechtsdrehende Ikonen
Mit „Allein unter Deutschen“ war Tuvia Tenenbom ein Coup gelungen. Rowohlt wollte das Buch des US-Autors, der mit 17 Jahren seine ultraorthodoxe Familie in Jerusalem verließ, nicht drucken. So landete es bei Suhrkamp und in den Bestsellerlisten. Und es war umstritten, zeigte es die Deutschen doch so, wie sie sich – selbst wenn sie als besorgte Bürger gegen das Morgenland aufmarschieren – nicht sehen wollen: als intolerant, antisemitisch und kleingeistig. Und als jüdischer Amerikaner hatte Tenenbom allen Grund, sich allein zu fühlen. Entsprechend grandios war sein Auftritt im Neonazi-Club „88“ in Neumünster.
Nun hat er mit „Allein unter Juden. Eine Entdeckungsreise durch Israel“ (Suhrkamp, 2014) nachgelegt. Und das ist harter Stoff. Tenenbom bereiste den Gazastreifen bis zu den Golanhöhen, fuhr von Eilat bis zu den Hisbollah-Stellungen im Norden, besucht Ultraorthodoxe und andere Fundamentalisten. Er redet mit allen, lässt die Rechtesten zu Wort kommen – israelische Rechte dabei nicht ohne Sympathie.
Auch zeigt das Buch, dass die Einseitigkeit der Deutschen im Nahost-Konflikt zu Recht als sprichwörtlich gilt. Unablässig werden NGOs alimentiert, die auf einen palästinensischen Staat hinarbeiten – auch Gruppen, die es unter der Auslöschung Israels nicht machen würden. Incognito als Deutscher widerfährt Tenenbom all das: Der palästinensische Politiker Dschibril ar-Radschub sagt zu ihm: „Von jetzt an heißt du Abu Ali“ – nach dem arabischen Spitznamen von Adolf Hitler. Ein jüdisch-israelischer Reiseleiter in Yad Vashem meint: „In Israel werden heute Afrikaner in Konzentrationslager gesteckt.“ Einer Vertreterin der Ärzte ohne Grenzen wird beim Anschauen der Karte Israels „ganz schlecht“, Tenenbom interpretiert: „Es gibt zu viele Juden auf der Karte.“
Unerträglich ist Tenenboms Verhörtechnik, seine oft sexistischen Sprüche. Noch selbstgerechter als die Europäer in Israel ist er selbst. Und die deutsche Linke feiert ihn noch immer als anarchistischen Helden – sei er auch noch so reaktionär.
Traurig daher, dass einige Erzählstränge des Buches so wahr sind. Etwa dieser: Der Wunsch nach Vernichtung der Juden hat eine so lange Tradition, dass die Gunst der pro-palästinensischen europäischen Öffentlichkeit nur gewinnen kann, wer sich gegen Israel wendet. Und all die deutschen Nahost-Versteher stützen diese Entwicklung mit ihren Reden von Kolonialismus, Genozid und Apartheid.
Mit Tenenboms Feststellung „Israel wird von Europa regiert“ sollte man dennoch nicht gehen. Es ist Zeit, sich von einer linken Ikone zu verabschieden.
■ Sonja Vogel arbeitet zurzeit in der tazzwei-Redaktion
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