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STADTGESPRÄCHEin Nein zur Ehrenlegion

DAS EREIGNIS ZUM JAHRESBEGINN: EINE ABSAGE AN DIE ROSETTE IM KNOPFLOCH. AUS HONORIGEN MOTIVEN

Der Ökonom Thomas Piketty möchte nicht neben Hunderten anderen „ehrenvollen“ Bürgern mit dem Verdienstorden der Ehrenlegion ausgezeichnet werden. Andere träumen davon und suchen fieberhaft nach ihren Namen auf der zu Jahresbeginn publizierten Liste der Auserwählten. Wer nicht als Versager gelten will, strebt darum danach, den Orden der Ehrenlegion zu erhalten und eines Tages die rote Rosette im Knopfloch an der Weste zu tragen.

Fast 700 Bürger und Bürgerinnen sind auch Anfang 2015 zu Rittern, Offizieren oder Kommandanten dieses weltlichen Verdienstordens der Französischen Republik designiert worden. Wie üblich befinden sich unter ihnen vor allem im Volk beliebte Sportler und Leute aus Film, Musik und Fernsehen, aber auch aus Wirtschaft und Wissenschaft, die im Verlauf des letzten Jahres besonders im Rampenlicht gestanden waren. Und dann auch immer ein paar Betagte, die ein wenig nachträglich und mit dem schlechtem Gewissen der Nation für ihr schon fast in Vergessenheit geratenes Lebenswerk geehrt werden.

Das interessiert aber anschließend in der Regel viel weniger als der Eklat eines dezidierten „Non merci!“. Das hat Schneid und sorgt für wesentlich mehr Schlagzeilen. So hat jetzt Frankreichs derzeitiger Starökonom Thomas Piketty der Staatsführung eine klare Absage erteilt. Piketty hat solche Würdigungen nicht nötig. Sein Buch „Das Kapital im 21. Jahrhundert“ ist ein Bestseller in Europa und in den USA. Seine Kritik am System der Ungleichheit machte ihn zum meistbeachteten Wirtschaftswissenschaftler des Jahres.

Dennoch wird in Paris getuschelt: Hat er es vielleicht nicht verdaut, dass sein Rivale, der liberale Wirtschaftsprofessor Jean Tirole, vor der Rosette der Ehrenlegion schon den weit begehrteren Nobelpreis erhalten hatte? Offiziell hat Piketty aber andere Gründe. Er ist der Meinung, die Ehrung sei ein alter Zopf, ein Ritual aus einer anderen Epoche. Vor allem aber sei es nicht an der Staatsführung, zu entscheiden, wer „ehrenvoll“ sei oder nicht. Noch mehr zu reden gibt die zweite Begründung für seine Weigerung, sich den „Glitzerkram“ – wie das Napoleon selber zynisch nannte, als er diesen Verdienstorden 1802 gründete – an die Brust heften zu lassen. Die Regierung solle sich gescheiter der „Ankurbelung des Wachstums in Frankreich widmen“, beschied er in den Medien dem Großkanzler der Légion d’honneur. Das ist im Klartext eine politische Kritik, die Staatspräsident François Hollande umso mehr schmerzen dürfte, als er noch in seiner betont linken Wahlkampagne gern und ausgiebig Piketty zitiert hatte. Jetzt erteilt dieser dem sozialistischen Staatschef schlechte Noten.

Wer wirklich in die Geschichte eingehen will, verweigert aus Überzeugung wie Albert Camus, Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir, George Brassens oder Léo Ferré oder früher schon die Schriftstellerin George Sand diese zwiespältige staatliche Ehrung. Der Komiker Coluche drohte gar damit, zur Übergabe eines Ordens im Slip zu erscheinen, damit die Offiziellen wüssten, wohin seiner Meinung nach die Auszeichnung gehöre.

Mehr materielle als ethische oder politische Argumente machte 1864 der Komponist Hector Berlioz bei seiner Ablehnung geltend: Er wolle lieber das Geld, das ihm die französische Staatskasse noch schulde, anstelle dieses Ordens. Reich wird man nämlich als Mitglied dieses militärisch strukturierten republikanischen Verdienstordens nicht: Nur die für ihre soldatischen Verdienste aufgenommenen „Ritter“ erhalten eine jährliche Rente in der Höhe von derzeit … 6,10 Euro, und einen Teuerungsausgleich gibt es auch. Mit der Ungleichheit vergrößert sich der Undank der Nation – das kann die Ehrenlegion bei Piketty im Detail nachlesen.

Nicht immer eine glückliche Hand hatte die Ehrenlegion übrigens mit den Ausländern: Mit dem Großkreuz der Ehrenlegion 1865 ehrte Kaiser Napoleon III. den preußischen Kanzler Bismarck, der sich fünf Jahre später mit einer Kriegserklärung dafür bedankte. Das hindert Frankreich aber nicht daran, seit 1963 allen deutschen Bundeskanzlern zum Zeichen der erneuerten Freundschaft die Ehrenlegion zu verleihen. Von ihnen wenigstens hat dies keiner abgelehnt.

RUDOLF BALMER AUS PARIS

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