: Independent in Oldenburg
FILMFEST In der letzten Woche wurde beim 18. Oldenburger Filmfestival trotz spürbarer Einsparungen wieder mit vielen unabhängig produzierten Filmen das schräge und unbequeme Kino gefeiert.
VON WILFRIED HIPPEN
Zum Beginn konnte man sich schon Sorgen machen. Die Kürzungen der Stadt und der teilweise Rückzug eines in den letzten Jahren sehr spendablen Sponsoren ließen das Programm des 18. Oldenburger Filmfestivals merklich ausgedünnt erscheinen. Ganze Programmreihen wie etwa jene mit internationalen Dokumentarfilmen waren eingespart worden und auf den ersten Blick konnte man fast den Eindruck gewinnen, dies wäre endgültig zu der Veranstaltung einer kleinen, eingeschworenen Gruppe von Freunden des Festivals geworden, die sich ein mal im Jahr in Oldenburg treffen und jeweils ihre neuen Filme mitbringen. So präsentierte der diesjährige Jury-Präsident Metthew Modine seinen aktuellen Kurzfilm „Jesus was a Commie“ und die neue Schutzheilige des Festivals Deborah Kara Unger war gleich in zwei Filmen zu sehen. Der Stammgast Arthur Brauss hatte in den 60er Jahren mal in einem Film von Roger Fritz mitgespielt, und so ergab es sich dann, dass diesem in Oldenburg ein Tribut gewidmet wurde. Solch eine Inzucht kann leicht gefährlich für ein Festival werden und Neumann sollte sich nicht in Zukunft zu sehr auf sein Kumpelsystem verlassen, doch in diesem Jahr funktionierte es verblüffend gut. Der Kurzfilm von Modine war zwar alles andere als stilbildend, aber wann findet man schon mal das Werk eines US-Amerikaners, der aus Überzeugung eine sozialistische Überzeugung propagiert? Und zumindest einer der Filme, die Frau Unger mitgebracht hatte, wurde zu einem der Höhepunkte des Festivals.
In „The Way“ spielt sie eine sarkastische Heimatlose, die sich auf dem Pilgerpfad nach Santiago de Compostela einer Gruppe von Wanderern anschließt, die dem Helden aus „The Wizard of Oz“ nachgebildet sind. Sie als der Zinnmann ohne Herz, ein verfressener Holländer als Löwe ohne Mut und ein irischer Schriftsteller mit Schreibblockade als die Vogelscheuche ohne Hirn werden von Martin Sheen als einer eher unorthodoxen Dorothy auf einer Reise angeführt, die von Sheens Sohn Emilio Estevez mit einer angenehmen Gelassenheit inszeniert wurde. Wie in den besten Roadmovies bestimmt die Reise die Dramaturgie und da der Film einem sowohl die durchquerten Landschaften wie auch die Reisekameraden sehr nahe bringt, weckt er im bequem sitzenden Zuschauer die Wanderlust. Bei der Filmfest-Gala in der St-Lamberti Kirche mussten die Zuschauer allerdings die sehr lange Veranstaltung auf den harten Kirchenbänken überstehen. Bei der Planung sollte im nächsten Jahr also auch berücksichtigt werden, wie belastbar das Sitzfleisch der Zuschauer ist.
Bequemer hatten es dagegen die 1300 Gäste, die zu der Eröffnungsveranstaltung in die riesige Volleyball-Arena von Oldenburg kamen. In den vorherigen Jahren waren nicht einmal annähernd so viele Besucher gekommen, aber es hatte auch noch nie solch einen anspruchslosen Eröffnungsfilm wie „Kein Sex ist auch keine Lösung“ von Torsten Wacker gegeben. Es war wohl klug von Neumann, diese banale Komödie als den geringsten gemeinsamen Nenner zu erkennen, der so viele Besucher anlockt und Stargäste wie Armin Rohde und Anna Thalbach auf den roten Teppich brachte, aber mit dem Rest des Festivals hatte diese Show (zum Glück) so gut wie gar nichts zu tun.
Ein strukturelles Problem, das für alle kleinen Filmfestivals immer gravierender wird, sorgte auch in Oldenburg für Unmut. Immer weniger der gezeigten Filme werden tatsächlich noch als „Filme“ projiziert. Statt dessen werden sie in einer Vielzahl von digitalen Formaten gezeigt, und da sich hierfür immer noch keine vernünftigen Standards durchgesetzt haben, müssen die Vorführer sich ständig auf neue Abspielbedingungen einstellen. Oft fehlt dann der passende Adapter oder die passende Einstellung wird nicht gefunden, und so erklärt sich die teilweise miserable Qualität der Vorführungen. Oft fehlte der Ton oder die Bildqualität war schlecht. Nach einer Vorführung schimpfte so ein Produzent laut darüber, dass sein Kurzfilm, an dessen „Look“ er drei Jahre gearbeitete hatte, in Oldenburg „wie auf UTube“ ausgesehen hätte.
Wie meist (nur einmal warAbel Ferrara nicht gekommen) hatte Neumann auch wieder ein glückliches Händchen mit der Retrospektive und dem Tribut. Sowohl der kanadische Regisseur Ted Kotcheff, der eben nicht nur den ersten „Rambo“ gedreht hat und Roger Fritz, der neben seinen auch heute noch sehr jung wirkenden Filmen wie „Mädchen, Mädchen“ und „Mädchen mit Gewalt“ auch eine ausgezeichnete (wenn auch etwa kleine) Auswahl seiner Schwarzweiß-Fotografien mitbrachte, waren sehr angenehme ältere Herren, die mit jeden, der sie ansprach, von sich und ihrer Arbeit erzählten. Durch sie und die vielen unabhängigen Filmemacher bekam in diesen paar Tagen Oldenburg ein weltoffenes Flair.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen