: Hoffnungsvolle Utopien
THEATER Zum fünften Mal setzen sich die Lessingtage des Thalia Theaters unter dem Motto „Aufruhr“ mit den Möglichkeiten des Zusammenlebens unterschiedlicher Kulturen und Religionen auseinander
VON FRANK KEIL
Was ein Spannungsbogen: Gleich am ersten Abend der diesjährigen Lessingtage des Thalia Theaters geht es nach Zwickau, dann in die Kölner Keupstraße, wo nach heutigem Stand der NSU ein Nagelbombenattentat gegen die dortigen, meist türkischstämmigen Anwohner verübte. Zwei Bundeswehrsoldaten sind anschließend unterwegs in den tiefsten Dschungel, auf der Suche nach dem „Herz der Finsternis“. Und bevor es schließlich zum Abschluss auf den Maidan-Platz in der ukrainischen Hauptstadt Kiew geht, führt uns der Weg an die Südküste Italiens, wo die Flüchtlinge anlanden.
Krisen, Krisen – Krisen überall. „Die Welt ist in Aufruhr, aber es gibt den Aufruhr schon länger – an vielen Orten dieser Welt“, sagt Sandra Küpper, Dramaturgin am Hause und als Kuratorin maßgeblich für das Programm der Lessingtage verantwortlich. Zwei Wochen lang sollen sie mit (nicht nur) theatralischen Mitteln verhandeln, warum und wie genau unsere Welt so aus den Fugen geraten ist.
„Zugleich ist es uns ein Anliegen zu zeigen, dass der Aufruhr nicht nur woanders und weit weg stattfindet, sondern sich auch direkt bei uns ereignet“, sagt Küpper. „Deshalb war es uns auch so wichtig, dass wir das Festival mit zwei deutschen Produktionen zu den NSU-Morden beginnen.“ Und das sind „Die Lücke“ von Nuran David Calis vom Schauspiel Köln sowie „Das schweigende Mädchen“ von Elfriede Jelinek in einer Inszenierung der Münchner Kammerspiele.
Küpper und ihr Team sind außerdem ausgeschwärmt, um internationale Gastspiele mitzubringen, die uns die Welt aus vielleicht ungewohnten Blickwinkeln betrachten lassen: Der israelische Regisseur Yael Ronen etwa ist mit seinem Ensemble zu Gast und versucht, uns den Bürgerkrieg des zerfallenen Jugoslawiens der 1990er-Jahre nahezubringen; die „Theatre Group“ aus Athen schaut vorbei und wird ein Tanzstück zeigen, das zwischen Ljubljana, Amsterdam und Berlin-Kreuzberg switcht.
Und auch im eigenen Haus wurde manches entdeckt, dass sich eignet, uns durcheinanderzuwirbeln. Wie „Hanumans Reise nach Lolland“ vom Theaterautor Andrej Iwanow, der derzeit in Tallinn lebt, ganz bewusst auf jegliche Staatsangehörigkeit verzichtet und zuvor dänische Flüchtlingsunterkünfte kennenlernte.
„Aufruhr ist beides, positiv wie negativ. Es ist ein Zustand, wo man merkt, dass die Gesellschaft in Bewegung ist; dass es große Unsicherheiten gibt“, sagt Küpper. „Deshalb gibt es den Versuch, etwas zu verändern. Und manchmal ist dieser Versuch so radikal und so erschreckend brutal, dass man ihn sich nicht gewünscht hätte“, sagt sie – mit Blick nicht nur auf das Phänomen „Pegida“, aber eben auch.
Die Hoffnung hat Küpper dabei keinesfalls aufgegeben. Künstler seien schließlich ihrer Zeit oft voraus, spürten diesen Schrecken auf und setzten ihm ihre kleinen Utopien entgegen. „Indem sie mit ihren Geschichten Hoffnungen formen“, sagt sie.
Dann gerät die Kuratorin ins Schwärmen: „Es gibt mit ‚El Djoudour‘ ein starkes Gastspiel aus Frankreich beziehungsweise Algerien.“ Wunderschön sei die Tanzperformance von Abou Lagraa, der sich als Choreograf sehr ernsthaft mit der Rolle des Körpers in der muslimischen Kultur und der Trennung von männlichen und weiblichen Körpern beschäftige. Durch Algerien kann Lagraa mit seiner Compagnie denn auch gerade nicht touren. Weil sich dort kein Theater traut, Frauen zu zeigen, die mit nackten Beinen tanzen. „Hierzulande nehmen wir sowas gar nicht als Tabu wahr“, sagt Küpper.
Und dann hat sie noch einen speziellen Tipp, der vielleicht geeignet ist, eine Balance zwischen Herausforderndem und auch Tröstendem wenigstens für einen Theaterabend herzustellen: Sehr freue sie sich auf die Arbeit ‚Bernstein‘ des chinesischen Avantgarde-Theatermachers Meng Jinghui. Mit sehr skurrilen, sehr poetischen, aber auch sehr traurigen Bildern arbeite der, bewege sich sehr offen und sehr modern zwischen Tanz, Theater und Performance. Auf eine Weise, wie man es von einem chinesischen Theaterstück nicht erwarten würde. Und das vor dem Hintergrund einer Liebesgeschichte. „Für alle die, die sich mal kurz festhalten möchten in dieser unruhigen Welt“, sagt Küpper.
„Um alles in der Welt – Thalia Lessingtage 2015“: Sa, 24. 1. bis So, 8. 2.; Infos und Programm unter www.thalia-theater.de
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