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Es grünt so grün in Devon

HANDWERK Die westenglischen Grafschaft Devon ist eine der schönsten Landschaften Englands. Dort kann man in einer Schuhmanufaktur seine eigenen Schuhe basteln. Ein Selbstversuch

Zum Schuhebasteln

■ Workshops: Sie dauern einen Tag für Schuhe oder für Taschen, zwei Tage für Stiefel mit starken Sohlen. Die Workshops können auch inklusive Unterkunft gebucht werden: www.greenshoes.co.uk, Tel.: +44 (0)1647 44 07 35

■ Wohnen: White Hart Hotel, DZ für 120 bis 150 Euro. Altes, renoviertes Posthotel. Essen aus lokaler Produktion. Besondere Tarife in Verbindung mit Green Shoes: www.whitehartdartmoor.co.uk, Tel: +44 16 47 44 05 00

■ Weitere Infos: www.visitdevon.co.uk/

VON DANIEL ZYLBERSZTAJN

Von London mit dem Zug zur 300 Kilometer weit entfernten Stadt Exeter für ein neues Paar selbst gemachter Schuhe von Green Shoes. Moretonhampstead, dort wo Green Shoes ihre Basis haben, liegt 30 Kilometer von Exeter entfernt, in der Mitte von Dartmoor, ein fast 100.000 Hektar großes mit Granithügeln versetztes englisches Moorgebiet in der Grafschaft Devon. Mit dem Taxi, denn es fahren nur sechs Busse täglich nach ‚Moreton‘, so nennen es die Einheimischen, geht es nun ganze 40 Minuten entlang schmaler zum Teil steiler Wege mit meterhohen dichten Hecken auf beiden Seiten.

Mittendrin im ländlichen England

Während Dartmoors Geschichte bis ins Bronzezeitalter verfolgbar ist, wurde Moretonhampstead selbst erst im späten 13. Jahrhundert zu einer reichen Marktstadt, einen Status, den die Stadt aber heute ohne Markt führt. Die alte, ganz aus Granit gehauene Kirche und das Almosenhaus aus dem 15. Jahrhundert sind nahezu unversehrte Überreste dieser Zeit. War es in der Vergangenheit das Geschäft mit Schurwolle, leben die meisten der heutigen 1.300 Einwohner, vom Tourismus und von der Landwirtschaft. Es ist ein der schönsten Landschaften Englands. Auch deswegen lohnt die Fahrt dorthin.

Die drei English Tearooms nicht weit vom Hotel wirken überrepräsentiert gegenüber den wenigen anderen Läden des Orts: Bäcker, Metzger, Obst und Gemüseladen, Co-op-Supermärktchen und die Post. Moreton setzt auf den anhaltenden Durchfahrtsverkehr und seit Neustem auf Tourismus, vor allem auf Leute wie mich, die an diesem idyllischen Ort ihre Schuhe machen wollen.

Gegen neun Uhr begebe ich mich, wie abgemacht, zu einer alten Methodistenkirche aus dem 19. Jahrhundert. Vor dem Hauseingang steht ein Korb mit zwei enormen Gartenkürbissen und einem Schild: „Zum Mitnehmen“! Die Kirche selbst wurde vor Langem zu einem industriellen Werkraum umgebaut und ist heute das Zuhause von Green Shoes.

Hier empfängt mich Alison mit zwei Gehilfinnen. Drei anderen Personen sind von weit her angereist, um ihre eigenen Schuhe zu machen. Alison ist Mitte 50. Sie hat lange, hinten zusammengeklammerte grau-schwarze Haare und trägt eine graue Bluse mit langem Jeansrock und braune wadenhohe Lederstiefel, natürlich selbst gemacht. Eine erfahrene Handwerkerin, die aus ihrer Leidenschaft ein Business machte.

Wir folgen Alison ins Obergeschoss. Hier ist der Verkaufs- und Verwaltungsraum von Green Shoes. Entlang der Treppe stehen hintereinander aufgereiht Dutzende von zierlichen Kinderschuhe in bunten Pastellfarben. „Wisst ihr eigentlich schon, welche Schuhe ihr wollt?“, fragt Alison. Sie zeigt uns die verschiedene Modelle. Ich wähle einen Feldstiefel mit Schnalle.

Fußkomfort, vor allem für breite Füße

Mit einem Bleistift umfahren wir nun unsere Füße auf einem Blatt Papier. „Oh, das sind breite Füße!“, kommentiert Alison meinen Fußumfang. Ich frage betroffen, ob nur ich breite Füße habe. „Oh nein!“, antwortet Alison, „viele haben das, aber Schuhe für solche Füße sind eher eine Seltenheit“, fährt sie fort, „denn schmalere Schuhe gelten als modischer.“

Dann sollen wir unter den 32 Lederfarben oder den neun Farben des veganen „Lorica“ unser Obermaterial wählen. Weil Lorica aus der Petrochemie kommt, ein Beiprodukt von Autositzen in Rennwagen, entscheide ich mich für braunes Leder mit ökologisch gefärbten blauer Innensohle, und beigen Innenmaterial. Doch ich bereue diese Entscheidung, als Alison nach meiner Lederrolle greift und verkündet: „Let’s do the cow“! Sie und eine Assistentin rollen sie aus und halten sie gestreckt wie eine Leinwand vor uns. Die Hälfte einer kleinen Kuh wird auf einmal sichtbar. „Hier waren die Beine, hier der Hals“, berichtet Alison und dann: „Wenn wir die Teile ausschneiden, brauchen wir für den starken Hauptteil des Schafts die Gegend, um die Wirbelsäule, weil es das stärkste Leder ist.“ Aus den anderen Regionen sollen wir die nicht so wichtigen Teile ausschneiden.

Bewaffnet mit einer grünen, mit vertrocknetem Gummi beklecksten Schürze und einem ultrascharfen Ledermesser, schneide ich nun, entlang der Schablonen, immer von mir weg, die verschiedenen Teile meines Schuhs aus meinem Leder heraus. Dabei soll ich auf Fehler und Unreinheiten im Leder achten und diese nicht miteinbauen. Meine Kuh scheint sich irgendwann einmal in ihrem kurzen Leben an einem Stacheldraht verletzt zu haben, kleine vernarbte Kratzer deuten darauf hin. Ich lasse diese Stelle weg. Bald ist die halbe Kuh kaputt geschnitten.

„Es begann mit dem ,Woman-can-do-anything-Feminismus’ der 70er Jahre“

ALISON, SCHUSTERMEISTERIN

Mit zwei verschiedenen Nähmaschinen werden die Teile unter Aufsicht einer der Assistentinnen, sie machen beide Lehre bei Alison, von mir erst geklebt und dann zusammengenäht. Ich frage, was der Unterschied zwischen diesem Workshop und den Fabriken in Bangladesch oder Vietnam ist. „In Fabriken müssen Arbeiter immer wieder die gleichen Teile annähen“, sagt Alison. Stattdessen gehe ich hier durch alle Herstellungsschritte. Das Gefühl, etwas Ganzes herstellen zu können, bleibt den Menschen in Fabriken fremd.

Kleben, klopfen und formen

Vor der Mittagspause erzählt Alison, wie sie zu dieser Geschäftsidee inspiriert wurde: „Es begann mit dem „Woman-can-do-anything-Feminismus“ der 70er Jahre. „Schuhe zu machen war ein Handwerk, das man traditionell Frauen nicht zutraute.“ Alison hat es gemacht.

Nach der Mittagspause weiteres konzentriertes Kleben und Nähen. Langsam kann ich einen Schuh erkennen. Aber es fehlt die Sohle. Sie wird nun mit einem Spezialwerkzeug von Alison persönlich angefertigt und verschliffen. Mit dem Pinsel klebe ich die Teile mit starkem Schuhkleber zusammen und zwinge das zerquetschte Resultat später mit einer speziellen Einlage auf einen Dreifuß, wo ich mit einem Schusterhammer die Form des Schuhs herausklopfe.

Es ist kurz nach fünf Uhr nachmittags. Nach acht Stunden Arbeit sind sie fertig, meine neuen Schuhe. Kein Druck nirgends. Sie sind bequemer als alle meine anderen Schuhe. Die Fußfreiheit ist so ungewöhnlich, dass ich mich erst daran gewöhnen muss.

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