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Akustisches Amphibium

Der Konzertsaal der Hamburger Elbphilharmonie soll einmal alles können: Klassik und elektronisch verstärkte Musik optimal übermitteln, und das auf allen 2.150 Plätzen. Eine Aufgabe, die derzeit das Team um den japanischen Star-Akustiker Yasuhisa Toyota in einem 1:10-Modell zu lösen versucht

Hinter dem Orchester – und das betrifft rund 20 Prozent der Plätze – hört man nicht so gut wie frontal. Das gibt sogar der Intendant zu

VON PETRA SCHELLEN

Es ist ein bisschen wie in der Puppenstube. Man steht da, den Kopf wie unter einen Fön gesteckt, inmitten eines kleinen Saals, in dem 2.150 Püppchen im Schall schluckenden Filzgewand sitzen. Und natürlich: Das eine oder andere fällt auch schon mal vom Stuhl, wird es aus Versehen berührt. Aber das macht nichts, denn derzeit herrscht sowieso kein Testbetrieb im historischen Schuppen 50 im Hamburger Freihafen. Seit Anfang August steht dort in einer der Hallen das fünf Meter hohe 1:10-Modell des großen Konzertsaals der werdenden Elbphilharmonie.

Von außen sieht das Sperrholz-Modell fast ein bisschen zusammengestoppelt aus, wie unsauber ineinander geschachtelte Schuhkartons. Innen aber – man duckt sich und taucht mit dem Kopf wie im Kasperltheater kurz vor der Bühne wieder im Saale auf – wirkt alles sehr sortiert. Wie im dereinstigen originalen Konzertsaal in der Hamburger Hafencity eben.

Und wenn die akustischen Messungen stattfinden – in Blöcken von dreimal drei Wochen – kann da ohnehin niemand drin stehen. Dann ist der Raum luftdicht abgeschlossen und mit Stickstoff gefüllt. „Das ist nötig, um die Raum-Schall-Situation in diesem Modell so zu simulieren, dass sie der im realen Konzertsaal gleicht“, sagt Karl Olaf Petters, Sprecher der Projektrealisierungsgesellschaft Rege. Eine Verdichtung der Saalatmosphäre in die Dimension des Modells hinein, die ebenso nötig ist wie das Transponieren der von der kleinen Bühne ausgesandten Töne. Auch sie sind um ein Zehnfaches höher, als sie es in der Elbphilharmonie sein werden – und somit für Menschen unhörbar.

Das Ziel der Messungen, die der japanische Akustiker Yasuhisa Toyota und sein Team noch bis Ende Oktober vornehmen werden: die Eliminierung von unerwünschtem Nachhall im Saal. „Denn bisher haben wir nur digital gemessen“, sagt Rege-Sprecher Petters. „Und auf diese Art kann man nicht alles erfassen. Es kann immer noch Ungenauigkeiten geben – Dinge, die man nachjustieren muss.“ Insbesondere in einem als „Weinberg“ konzipierten Saal, in dem – anders als in den herkömmlichen „Schuhschachtel“-Sälen – die Zuschauer rund um das Orchester herum sitzen; jeder fünfte sogar dahinter. Auf Planungsfehler deute das Experimentieren am Modell aber keineswegs hin. „Davon zu reden ist absurd“, sagt Hartmut Wegener, Projektkoordinator der Rege. Die Hinzuziehung des japanischen Star-Akustikers, der zurzeit gerade den Saal des Kopenhagener Radiosinfonieorchesters gestaltet, sei von vornherein geplant gewesen.

An 58 Stellen im Modell-Saal, in dem das Publikum das Orchester umgibt und fast bis zur Decke herauf sitzt, sind Messgeräte auf Ohrhöhe der Zuschauer installiert, die den Nachhall der vom Bühnenlautsprecher ausgesandten Töne messen. 58 Stellen, an denen eventuelle Neigungswinkel von Brüstungen, die Aufrauhung von Wänden sowie zusätzliche Stoffbespannungen erwogen werden, um den Nachhall zu minimieren. Weitere Stellschraube: der an der Decke angebrachte Reflektor. Er wurde nötig, um den Nachhall auszugleichen, der dadurch entstand, dass man die ursprünglich flache Decke der Trichterform der Außenhaut anpasste, erklärt Petters. Nachjustiert werden kann der allerdings nicht: Er wiegt 40 Tonnen und wird irgendwann dauerhaft fixiert.

Was alle Messungen und Justierungen aber nicht verbergen können: Die Akustik des Saals ist in erster Linie auf klassische Konzerte ausgerichtet, nicht auf elektronisch verstärkte. Das räumt auch der Rege-Sprecher ein. „Für uns besteht die Herausforderung darin, den Saal akustisch so zu optimieren, dass er sich auch für elektronisch verstärkte Konzerte sehr eignet.“ Was bedeutet, zwei Genres zu bedienen, die entgegengesetzte Bedürfnisse haben: Klassik erfordert, da nicht verstärkt, lange Nachhallzeiten, elektronisch verstärkte Musik kurze. Die Quadratur des Kreises? Das Team um Toyota versucht dem Problem beizukommen – durch kleinteilige, mühsame Testserien. Nach jeder Messphase wird das Modell verändert, werden Brüstungen erhöht, aufgeraut oder anders geneigt, und dann erneut gemessen.

Eine „Bibel“, eine allgemeingültige Vorstellung davon, wie viel Hall es in solchen Sälen geben darf, existiert allerdings nicht. Tatsache ist aber, dass die Akustik von „Schuhkarton“-Sälen leicht berechenbar ist. Beim „Weinberg“ dagegen werde standardmäßig mit einem Modell gearbeitet, sagt Rege-Sprecher Karl Olaf Petters.

Wobei selbst Elbphilharmonie-Intendant Christoph Lieben-Seutter einräumt, dass man hinter dem Orchester – und das betrifft rund 20 Prozent der Plätze – nicht so gut hört wie frontal. „Aber dafür sieht man die Musiker umso besser, und das ist ja ein wesentlicher Teil des Konzerterlebnisses“, beteuert der Intendant. Eine Tatsache, an der auch präziseste akustische Justierung nichts ändern wird.

Bleibt die Hoffnung, dass man den Saal einigermaßen Elektronik-tauglich wird justieren können. Aus der Sicht des Klassik-Fans braucht man das zwar nicht. Aus Sicht der Financiers – und ein solcher ist Konzertveranstalter Lieben-Seutter – aber sehr wohl. Der Intendant wird ab Herbst 2010 etliche populäre Konzerte bieten müssen – schon, damit die Kasse stimmt. „Und da können wir es uns nicht leisten, dass jemand rausgeht und mit dem Preis-Leistungs-Verhältnis nicht zufrieden ist.“ Sein Wort in Toyotas Ohr.

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