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DIE DIVEN-ACHSE VON KIRSTEN RIESSELMANNDie große Slide-Show

Ja, Devendra Banhart ist der mit der Jesusbehaarung, der mit dem Kajal um die Augen und der mit den Mädchenschuhen an den Füßen. Ja, der 26-Jährige wird als Zentralgestirn jener bestaunten US-kanadischen Szene wahrgenommen, die auf der Oberfläche mit dem buntflattrig Hippiehaften hausieren geht, eigentlich aber einfach recht gute, nicht ganz einfallslos Folk und Country verarbeitende Musik macht. Man nennt sie „Weird Folk“. Mit weird hat die Musik auf Banharts fünftem Album „Smokey Rolls Down Thunder Canyon“ allerdings nichts zu tun. Sie hat diesmal zwar ihren Genre-Bezugsrahmen stark ausgeweitet und sehr viele Musiker beteiligt, ist aber trotzdem vor allem nicht mehr als: recht gut.

Und verliebt in die Vergangenheit. Auch wenn die Stücke mal brüchiger, mal opulenter produziert sind, als es damals möglich war: Banharts neues Album könnte auch eine Sammlung von Sixties-Coverversionen sein. Er selbst klingt mal nach Lennon in der „Abbey Road“-Phase, mal bebt seine Stimme vor Morrisson-Männlichkeit, mal tremoliert sie sinatraisch. Dazu erklingen Mandolinen-Orchester, Chöre, Wurlitzer-Orgeln, Jethro-Tull-Querflöten und, sehr häufig, Slide-Gitarren. So geht es von Easy-Listening-Boogies über psychedelischen Folkblues hin zu spanischem Soli-Cha-Cha-Cha. Ein bisschen weird ist höchstens, dass der Sänger sich in „Sea Horse“ danach sehnt, ein Seepferdchen zu sein. Trotzdem: Ein Album für die Pärchencouch.

Devendra Banhart: „Smokey Rolls Down Thunder Canyon“ (XL/Beggars)

Herzstillstandsdeepness

Davor ist PJ Harvey gefeit. Obwohl Polly Jean jetzt Klavier spielt und singt wie am glitzernden Seidenfaden. Nichts auf ihrem siebten Album „White Chalk“ erinnert mehr an ihre großartigen 90er-Eruptionen, wo sie zur hart gedroschenen Gitarre schrie und Zeilen wie „Lick my lips, I’m on fire“ quälstöhnte. Ihre Verzweiflung braucht heute die Lautstärke nicht mehr, sie schleicht sich auf den Sohlen der fahlen Schönheit an. Weiß gekalkt und in Erlkönig-hafte Nebelhallwolken gehüllt klingt die Musik, jedes Stück eine kleine, analoge Gothic-Miniatur übers Abschiednehmen und Alleingelassenwerden. Ein bisschen so, als hätte man von 40-spurigen Miranda-Sex-Garden-Aufnahmen nur jede achte Spur stehen lassen. Das ganze Album benötigt nur eine halbe Stunde, um seinen Punkt zu machen: Ergriffenheit geht nicht über Pathos, sondern über Maßhalten mit den Herrlichkeiten der Harmonieführung.

„Grow Grow Grow“ ist dabei ein neuer Beweis dafür, dass in der Popmusik oft die schönsten Dinge gelingen, wenn man sich an den Dreier-Takt herantraut – und von Klavier und Harfe dazu bleich verhallte Arpeggios spielen lässt. Wem die Stücke der Harfenistin Joanna Newsoms zu langatmig sind, wer aber trotzdem nach ähnlich brüchiger Wunderschönheit, verrührt mit einer gehörigen Portion Herzstillstandsdeepness sucht, der ist mit der PJ Harvey von heute ein glücklicher Mensch.

PJ Harvey: „White Chalk“ (Island/Universal Music)

Will der Sheriff tanzen gehn

Und braucht dann natürlich Nena nicht mehr. Diejenigen, die sich da nicht sowieso sicher sind, seien gewarnt. Nena („99 Luftballons“), mittlerweile 47 alt und vierfache Mutter, gründet ja seit neuestem Privatschulen, weil sie „Kindern einen natürlichen Raum geben will, sich frei zu entfalten“. Gleiches Recht für alle, wird sie gedacht haben, denn Entfaltung, das liegt auch ihr. Deswegen hat sie jetzt ihre All-time-favourite-Lieblingslieder aufgenommen. 17 deutsche und 13 englische, 120 grässliche Minuten voll. Ihre deutschen Idole verwundern nicht so sehr: Udo Lindenberg, Rio Reiser, Ideal, Rammstein. Bei den englischsprachigen geht sie beschwingt und ohne angebrachte Scheu noch eine Liga höher: Bowie, Stones, Dylan, Neil Young, Pink Floyd.

Dass sie sich an konsequent allen verhebt, ist klar. Ganze drei Songkategorien stehen ihr als Cover-Möglichkeit zur Verfügung: der Schlager, die dicke Rocknummer und der noch dickere Dance-Smasher mit Humpta-Stampfbeat. Eine Doppel-CD passgenau fürs Oktoberfest. Schön ist einzig, dass man in Stück 3 auf CD 1 von Nena an die herrlichen Texte der Deutsch-Amerikanischen Freundschaft erinnert wird: „Alle müssen mal kapieren / Was der Sheriff will / Will der Sheriff tanzen gehen / Tanzen alle, das ist schön.“

Nena: „Cover Me“ (Warner)

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