ANDREAS FANIZADEH LEUCHTEN DER MENSCHHEIT: Konservative? Verwirrung in „Arrival City“
Nun ist es raus: Nach Frank Schirrmacher will auch FAZ-Redakteur Lorenz Jäger kein genuin Konservativer mehr sein. „Adieu, Kameraden, ich bin Gutmensch“, lautete es diesen Mittwoch aus Frankfurt. So schnell, so salopp. Denn, so Jäger in seinem Feuilleton-Text, „vor allem will ich nicht verstehen, das ‚Islamkritik‘ in allen Spielarten, bis hinunter zur offenen Demagogie, fast das einzige Prunk- und Ehrenzeichen konservativer Politik geworden ist“.
Nach Schirrmacher hat es nun also auch Jäger das Toupet verrutscht. Man will weder bei der Verteufelung des US-amerikanischen Präsidenten Obama („Kommunisten im Weißen Haus“) mitmachen noch mit europäischen Fanatikern wie Geert Wilders, dem „Mann mit dem echt blondierten Haar“ (Jäger), im Patrouillenboot sitzen.
Das kommt nicht ganz überraschend. Patrick Bahners, Noch-Feuilletonchef der FAZ, veröffentlichte Anfang des Jahres ein gegen Thilo Sarrazins Thesen gerichtetes Buch „Die Panikmacher“ (C. H. Beck, 2011). Das FAZ-Feuilleton selbst allerdings und die Kameraden Jäger schlingerten weiter bedenklich in puncto „Islamkritik“. Als Sarrazins Buch „Deutschland schafft sich ab“ letzten Herbst rasant zum Millionenseller wurde, bot man dem SPD-Mitglied und dessen Thesen von den weniger intelligenten, weil armen deutschen Muslims über Monate hinweg eine Plattform. Hunderttausende Buchkäufer konnten nicht irren. Der Gipfel dieses Konservatismus, der nun reihenweise fahnenflüchtige FAZ-Redakteure hervorbringt, wurde erreicht, als man mit Sarrazins Originalsprech in die letzten Weihnachtsferien ging.
Doch wenn Sarrazin heute das Gleiche wie gestern sagt, will das das konservative Feuilleton nun nicht mehr hören. Sarrazin wundert das, der unbeiirt an seinem Kreuzzug gegen deutsch-türkische Muslims festhält. Dem österreichischen Kurier sagte er gerade: „Wenn sich der Trend fortsetzt, dass die weniger Intelligenten mehr Kinder bekommen, dann sinkt die durchschnittliche genotypische Intelligenz, also der erbliche Anteil der Intelligenz in der Bevölkerung.“
Der Mann ist gefährlich und es steht zu befürchten, unsere Eliten wie die ehemals konservativen Feuilleton-Leitartikler wären es auch, sofern sich das Buch in einen sichtbaren politischen Trend umgemünzt hätte. Hat es aber nicht. Die Rechte verliert Wahl um Wahl. In Berlin, Ausgangspunkt der Sarrazzin’schen Muslim-Beschimpfung, stimmten über zwei Drittel der Bevölkerung für Piraten, Grüne, Linke und SPD – FDP und CDU halten zusammen bei 25 Prozent.
Zum Opportunismus herrschender Medien und Politik passt es nun, dass Wowereits SPD seinerzeit Sarrazin nicht aus der Partei schmiss, sondern nun ausgerechnet mit jener Partei Berlin regieren will, die in der Ära Helmut Kohl die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Desintegration der „Gastarbeiter“ in Deutschland garantierte und so die heutigen Probleme in den Migrantenvierteln erst schuf.
„Frauen ist es in den Landbesetzer-Randbezirken von Istanbul besser ergangen als in den türkischen Wohnvierteln von Berlin“, schreibt der Journalist Doug Saunders. Er hat für seine Studie „Arrival City“ (Karl Blessing Verlag, 2011) über 20 Orte auf der ganzen Welt untersucht, die als klassische Ankunftsstädte ländlicher Migration gelten. Es sind unumkehrbare Verstädterungsprozesse, die Saunders beschreibt, und ob sie in Teheran oder Los Angeles gutgehen, hängt in erster Linie von der Liberalität ab. Die Phänomene sind auf der ganzen Welt dabei ähnlich. Wer sich nicht modernisiert, verliert. Die Zukunft liegt in den „Arrival Citys“, in Verstädterung und Mobilität.
Den (ex-)konservativen Redakteuren dämmert das schon. Doch was folgt daraus? Ein neues Elitekonzept? Oder ein visionsloser Opportunismus, wie ihn Wowereit in Berlin vertritt, der sich selbst nicht mehr versteht.
■ Andreas Fanizadeh leitet das Kulturressort der taz Foto: privat
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen