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Es liegt was in der Luft

Der Intendant Andreas Homoki eröffnet die Spielzeit an der Komischen Oper mit einer Neuinszenierung der „Fledermaus“ von Johann Strauß und lässt dabei Staub glitzern

Wenn die Komische Oper eine Operette spielt, ist die Lage in der Regel ernst. Eben noch hat Peter Konwitschny zum Ende der letzten Spielzeit Lehárs „Land des Lächelns“ als veritables Lehrstück für den Fieberzustand einer gar nicht so vergangenen Gesellschaft auf die Bühne gehämmert – und vor nunmehr fast genau 60 Jahren hatte Walter Felsenstein mit der „Fledermaus“ von Johann Strauß nicht nur dieses Theater, sondern gleich eine „Ära der Theatergeschichte“ eröffnet. So steht es im Programmheft. „Oh je, Oh je, wie rührt mich dies“, möchte man Strauß zitieren mit der Musik im Ohr, die zu diesem Text nun mal gehört und die man kennt, auch wenn man überhaupt nicht mehr weiß, woher eigentlich, weil sie inzwischen zur genetischen Grundausstattung des europäischen Bürgers gehört.

Schwerwiegendes also war zu befürchten, als am Sonntag dieses Stück Unterhaltungsgeschichte wieder Premiere hatte, diesmal inszeniert von Andreas Homoki, der sich gern zu Felsensteins Erbe bekennt. Aber nein, „Brüderlein und Schwesterlein, dui, dui, duu“, es kommt ganz anders: Lustig ist der Abend, man lacht unbeschwert von allem tieferen Sinn über den Spaß auf der Bühne und über sich selbst, denn Homoki erwischt uns beim Stöbern auf Flohmärkten und in Rumpelkammern. Bühnenbilder Wolfgang Gussmann muss auch dort gewesen sein, um all das Mobiliar des Gründerzeit-Bürgerhaushalts einzusammeln: Monsterschränke, Sofas, ein Sekretär, und, oh ja, ein Flügel. Kein Mensch kann das Zeug heute noch gebrauchen, es steht kreuz und quer herum, abgestellt.

Die Ouvertüre ist vorbei, niemand zu sehen, bis plötzlich in dem Gerümpel versteckt ein Tenor zu singen anfängt. Dann kommt das Stubenmädchen herein, es hat einen Brief von der Schwester erhalten, die beim Ballett ist: Der Prinz Orlowski gibt ein Souper. Schon sind wir dabei, blättern die vergilbten Seiten um. Ach, jetzt kommt die Dame des Hauses, und dann der Ehemann, der Gabriel von Eisenstein, und spätestens jetzt, wenn Klaus Kuttler diese Abstellkammer betritt, ist alles entschieden: Kuttler ist ein prachtvoll zappelnder Wonnepropen, komisch bis in die Fingerspitzen. Wenn man weiß, was dieser Mann noch alles kann außer Singen – er komponiert und spielt Oboe –, versteht man das Geheimnis dieser Aufführung.

Natürlich weiß er so gut wie Homoki und alle anderen, dass die Kunst eine sehr ernste Sache ist. Und Felsenstein, und die Gesellschaft, und die Politik! Aber diesmal leistet er sich den Spaß an Johann Strauß pur. Es ist so wundervolle Musik, dass er schon wieder herumhüpfen muss vor lauter Freude. Alle reißt er hinein in den Strudel der Polkas und Walzer, und Klaus Poscher, der Dirigent, zieht das ganze Orchester so energisch mit, dass buchstäblich der Staub auffliegt. 60 Jahre seit Felsenstein, 130 seit Strauß: Da hat sich einiges angesammelt, das nun in der Luft liegt. Aber seltsam, er scheint zu glitzern, dieser Staub, gerade er ist exotisch schön, fast noch schöner als die Dinge, die er gnädig zugedeckt hat.

Dann der Katzenjammer am anderen Morgen, die Rückwand der Rumpelkammer, jetzt Gefängnis, ist umgefallen. So geht die Geschichte eben aus, die letzten Seiten sind nicht die besten, aber es ist ja alles schon sehr lange vorbei. Die Rückwand klappt wieder hoch, das Licht geht aus. Was haben wir gelernt für die Gegenwart? Denn, bitte schön, Operette ist doch der Ernstfall der Komischen Oper! Nur dieses: Dass es eine andere Zeit gab, in der ein Johann Strauß und ein Gabriel von Eisenstein denkbar waren. Nehmen wir es als Beitrag zur multikulturellen Debatte. Glücklich ist, wer das nicht vergisst. NIKLAUS HABLÜTZEL

Nächste Aufführungen: 25. und 30. 9.; 6. und 14. 10.

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