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Die Sonne geht nie mehr unter

POP Bei Fritz Kalkbrenner sind Soul und Techno so eng verbunden wie bei kaum einem zweiten – der umtriebige Künstler spielt nun zwei Konzerte in seiner Heimatstadt

Kalkbrenner bewegt sich zwischen Soul-Crooner und DJ – weltweit wohl einzigartig

VON THOMAS WINKLER

Kürzlich musste Fritz Kalkbrenner mal wieder was zu seinem großen Bruder sagen, obwohl dessen Name nicht einmal gefallen war. Der heißt mit Vornamen Paul, ist ein überaus erfolgreicher Musiker und geriet einst in die Schlagzeilen, weil er ausgerechnet auf der Höhe seines Ruhms eine Weile mit zerrütteten Nerven abgetaucht war. Nun sollte Fritz sagen, ob er Angst vor einem Burn-out habe. Klar, sagte der, die Sorge sei auch bei ihm immer da.

Kein Wunder: Fritz Kalkbrenner ist schwer beschäftigt. Im Dezember war er in der Schweiz und in Frankreich unterwegs, im November in Spanien, Ungarn oder Tschechien, im Oktober in Peking und Schanghai, davor ein paar Mal auf Ibiza. Gerade kommt Kalkbrenner aus Paris, und nach den beiden bereits ausverkauften Terminen in der Tempelhofer Columbiahalle geht es weiter mit der Tourerei durch Europa.

Kalkbrenner, aufgewachsen in Lichtenberg, wohnhaft in Friedrichshain, spielt um die 140 Shows pro Jahr, er ist ein internationaler Star. „Ways Over Water“, sein letztes Album, ist seit seinem Erscheinen im vergangenen Oktober in den deutschen Charts platziert, zwischenzeitlich gar auf Rang sechs. Noch wichtiger aber: Der 33-Jährige jettet ständig um den Globus und ist dort präsent, wo heute wirklich Geld im Musikgeschäft umgesetzt wird, auf den Bühnen und DJ-Kanzeln in aller Welt.

Die Prominenz des kleinen Bruders hat mittlerweile fast die des großen überflügelt. Zwar hatte der Schulbabbrecher Fritz seit 2003 immer wieder mal gesungen, aber der echte Erfolg für den jüngeren kam erst nach einer Zusammenarbeit mit dem vier Jahre älteren. Als Hauptdarsteller Paul Kalkbrenner für seinen Soundtrack zu „Berlin Calling“ einen Sänger suchte, engagierte er seinen Bruder. „Sky and Sand“ wurde zwar erst, zwei Jahre nachdem der Film 2008 in die Kinos gekommen war, zum Hit, aber hielt sich dann ganze 129 Wochen in den Charts. Ein Rekord, für den neben dem gewohnt weich pulsierenden Beat von Paul eben auch die ungemein soulige Stimme von Fritz verantwortlich war.

Der Dauerbrenner „Sky and Sand“ wurde in gewisser Weise eine Blaupause für Fritz Kalkbrenner. 2010 erschien sein erstes Album „Here Today Gone Tomorrow“, zwei Jahre später „Sick Travellin‘“, auf dem er seinen Ansatz weiterentwickelte: Kalkbrenner verzierte nicht wie seine Kollegen Techno-Tracks bloß mit schicken Soul-Stimmen und benutzte akustische Instrumente nicht nur als Soundeffekte, sondern als tragende Elemente. Bis heute schreibt er eigentlich klassische Soul-Songs, die aber produziert werden wie zeitgemäße Tracks für den Club. Für „Sick Travellin‘“ ging er sogar so weit, seine Coverversion des Gil-Scott-Heron-Songs „Willing“ komplett von einer Band einspielen zu lassen.

An den großen Gil Scott-Heron muss man sich erst mal heranwagen. Selbstverständlich ist das auch für Kalkbrenner, der Al Green und Marvin Gaye verehrt, eher nicht. Noch heute erzählt er gern, wie ihm die Knie schlottern vor Auftritten. Als er 2003 für „Now You Know“, einen Track seines Freundes Sascha Funke, erstmals Vocals einsingen sollte, mussten alle das Studio verlassen. Mittlerweile hat sich das Selbstbewusstsein aber seiner bärigen Erscheinung angeglichen. Er singt davon, dass die Lichter der Stadt leuchten und die Sonne nie mehr untergeht. Selten hat man eine ungeschulte Stimme gehört, die so von dem überzeugt scheint, was sie singt. Kalkbrenner findet eine nachgerade unheimliche Balance zwischen sensibler Nähe und kühler Distanz. Nicht nur deswegen, auch dank der unspektakulären, aber effektiven Beats strahlen seine Tracks, die er am liebsten „Nummern“ nennt, eine extreme Ruhe aus. Wie er die auf der Bühne präsentiert, als eine Kombination aus Soul-Crooner und DJ, das ist weltweit wohl einmalig.

Soul und Techno waren schon immer Geschwister, aber so eng verwandt wie in der Person Fritz Kalkbrenner waren sie selten. Spätestens mit „Ways Over Water“ hat er daraus ein Amalgam geschmolzen, wie man es so schlüssig bislang nur selten gehört hat. Selbst, dass sich der Eröffnungstrack auf das knarzende Riff einer Schweinerock-Gitarre stützt, für das man seit mehr als drei Jahrzehnten eigentlich gesteinigt wird, fügt sich widerspruchslos ins Konzept. Fans von klassischem Soul mögen sich zwar wünschen, die Bassdrum würde manche schöne Stimmung nicht zerhacken wie ein humorloses Metronom. Denn meist folgt Kalkbrenner dem Diktat des Tanzbodens, aber er ist eben auch experimentierfreudig genug, sogar Bläser aufzufahren, um einem Track wie „The Sun“ im allerletzten Moment noch seinen maschinenhaften Charakter auszutreiben.

Vielleicht stammt diese Offenheit, die auch seinem Bruder zu eigen ist, aus seiner Sozialisation in der DDR, in der die beiden Kalkbrenners nicht nur ohne direkten Zugang zu aktuellen musikalischen Entwicklungen, aber auch ohne einschränkende Szenezugehörigkeiten aufgewachsen sind. Die beiden scheren sich nicht darum, ob die Hipster sie belächeln könnten. Sie geben aber auch nicht einfach dem nach, was das Publikum will.

■ Fritz Kalkbrenner: 30. und 31. Januar, 20.30 Uhr, C-Halle, Tempelhof | Karten gibt’s leider nur noch bei Ebay & artverwandten Portalen

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