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Harfinisten im House

KLASSIKTECHNO Berühmt wurden Brandt Brauer Frick, weil sie am Computer aus Klassiksamples Technostücke zusammenbastelten. Auf ihrem neuen Album aber tritt ein ganzes Ensemble in Aktion

Zehn Musiker spielen nahezu alles, was auch im Konzerthaus auf der Bühne zu stehen pflegt

Eine gute Geschichte kann man auch zweimal erzählen. Aber damit es nicht langweilig wird, hilft es, wenn man die Perspektive wechselt. Das haben Brandt Brauer Frick mit ihrem neuen Album „Mr. Machine“ getan: Klassisch ausgebildete Musiker spielen Techno. Diese Geschichte ist immer noch die alte. Aber diesmal wird sie von hinten erzählt.

Für ihr im vergangenen Jahr erschienenes, von der Kritik gepriesenes Debüt „You Make Me Real“ speiste das Berliner Trio den Computer mit den Klängen klassischer Instrumente. Aus diesem Klangreservoir modellierten Daniel Brandt, Jan Brauer und Paul Frick dann so geschickt Techno-Tracks, dass das Fachmagazin De:bug lobte: „Fein detailliert, edel, präzise und von hohem Wertgewinn.“

Das fand zwar nicht jeder, ein großer Hit in den Clubs wurden die Stücke von „You Make Me Real“ nicht gerade. Aber dafür spielten Brandt Brauer Frick im vergangenen Sommer bei den größten Festivals in der ganzen Welt, beim Coachella in Kalifornien ebenso wie im englischen Glastonbury. Momentan touren sie gerade wieder durch die USA. Einig war man sich allerorten, dass Brandt Brauer Frick ein spannendes Experiment lanciert hatten an den Grenzbereichen der elektronischen Musik, die man eigentlich schon für ausreichend erforscht hielt.

Diese Forschungsarbeit geht nun in die zweite Runde: Bei der Produktion von „Mr. Machine“ ließen Brandt Brauer Frick Erkenntnisse und Methoden ihrer Liveauftritte einfließen, bei denen sie mit leibhaftigen Musikern ihre digitalen Tracks auf der Bühne nachzustellen versuchten. So wurden zum Teil dieselben Kompositionen wie auf „You Make Me Real“ noch einmal neu eingespielt, nun interpretiert von einem eigens zusammengestellten Ensemble. Zehn Musiker spielen von der Geige über Harfe und Posaune bis zur Marimba nahezu alles, was auch im Konzerthaus auf der Bühne zu stehen pflegt. Und auch ein bisschen mehr, nämlich einen Moog-Synthesizer.

Die Geschichte wird also verkehrt herum erzählt. Bei der Premiere wurde Techno auf traditionelle Weise programmiert aus Samples, die aus einem klassischen Klangbild stammten, die Tracks nachbearbeitet und mit Effekten versehen. Nun spielen Orchestermusiker mit klassischem Instrumentarium Techno-Tracks, als wären diese längst ein gut abgehangener Teil des klassischen Kanons.

Diese neue Erzählweise sorgt, wenig überraschend, für strukturelle Veränderungen: Unterwarfen sich die Tracks früher fast durchgängig dem Diktat der geraden Bass-Drum, brechen die neuen Aufnahmen immer wieder aus dem Dance-Korsett aus. In der neuen Version des Titelsongs vom Debüt „You Make Me Real“ dängelt das Schlagwerk nun eher unruhig und nervös, während sich das eigentlich rhythmusgebende Klavier von kurzen, spitzen Bläsereinwürfen irritiert zeigt.

Solche Unregelmäßigkeiten finden sich in allen Stücken. Und so kann man tatsächlich die Frage stellen, ob „Mr. Machine“ überhaupt noch zum Tanzen geeignet ist. Ob hier nicht eher ein ganz anderer Grenzbereich als bisher erforscht wird, der zwischen klassischer Musik und Jazz. Aber das wäre schon wieder eine neue Geschichte. Wenn auch eine, die sich ebenfalls zu erzählen lohnte. THOMAS WINKLER

■ Brandt Brauer Frick: „Mr. Machine“ (!K7/Alive) ist gestern erschienen. Live am 18. 12. in der Volksbühne

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