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„Wir können mehr als Tourismus“

TUNESIEN will sich als Offshoring-Paradies und Drehscheibe für neue Energien profilieren. Diese Ziele teilt auch die islamistische Partei

Férid Tounsi

■ ist Generalsekretär des Förderungsamts für Industrie und Innovation in Tunis. Zuvor leitete er in Amman im Jordan das Technikabkommen von Agadir zwischen Marokko, Tunesien, Ägypten und Jordanien.

INTERVIEW EDITH KRESTA

Herr Tounsi, 110 Parteien sind zur Wahl der Verfassunggebenden Versammlung in Tunesien am 23. 10. zugelassen – das verheißt nicht gerade Stabilität und dürfte auch potenzielle Investoren verunsichern.

Férid Tounsi: Das Phänomen, dass es so viele Parteien sind, finde ich angesichts des großen gesellschaftlichen Umbruchs normal. Es zeigt einfach, wie stark das Bedürfnis bei vielen ist, die Demokratisierung mitzugestalten. Mir ist keine Partei bekannt, die nicht die liberale und offene Wirtschaftspolitik Tunesiens fortsetzen will. Arbeitsplätze schaffen und Investoren suchen sind die unbestrittenen Ziele aller wirtschaftlichen Ansätze.

Europa fürchtet ja keine Verstaatlichungswelle, sondern fundamentalistische Islamisten, die die demokratische Entwicklung und damit die wirtschaftliche Attraktivität des Landes gefährden könnten. Haben Sie Angst vor den Islamisten?

Das ist alles mehr Klischee als Realität. Mag die islamische Partei Ennahda auch 25 Prozent bekommen, das gefährdet uns als offenes Land, als Tor zu Afrika nicht. Wir haben paritätische Wahllisten, 50 Prozent Frauen, 50 Prozent Männer. Das ist sehr fortschrittlich, daran hält sich auch die Ennahda.

Tunesien hat eine moderne Verwaltung, die allerdings die Korruption unter Ben Ali mitgetragen hat.

Die NGO Global Integrity beziffert das Vermögen Ben Alis auf rund 3 Milliarden Euro und das seiner Verwandtschaft auf rund 9 Milliarden Euro. Die Gesamtsumme entspricht etwa 59 Prozent des Bruttoinlandsprodukts von 2010. Das wäre das Doppelte der Devisenreserven Tunesiens. Zusätzlich hat sich der Clan rund 30 Millionen Euro unter den Nagel gerissen, die die Bürger für einen dubiosen Solidaritätsfonds „spenden“ mussten. Hemmend für die Wirtschaft war aber nicht in erster Linie der Raub der Gelder, sondern dass sich die Korruption negativ auf die Investitionsbereitschaft tunesischer Unternehmen auswirkte.

Gerade im Landesinneren ist die Arbeitslosenquote mit offiziell mehr als 20 Prozent sehr hoch. Was wird dagegen getan?

Das Landesinnere war schon immer ökonomisch schwierig. Deshalb fingen die Proteste dort an. Jede neue Regierung wird gut beraten sein, viel Energie auf die Entwicklung dieser Region zu verwenden.

Gibt es konkrete Projekte?

Nach dem 14. Januar haben wir versucht, junge Arbeitskräfte besser einzubinden: 15.000 wurden in die Administration aufgenommen. Und im privaten Sektor haben wir versucht, die Unternehmen zu sensibilisieren. Auch da haben wir ungefähr 15.000 neue Arbeitsplätze geschaffen. Große Hoffnung setzten wir nun in den Offshoring-Bereich. Diese Verlagerung unternehmerischer Prozesse von europäischen Firmen nach Tunesien bietet sich an, da wir sehr viele gut ausgebildete Arbeitslose haben. Für die Instandsetzung und den Ausbau der Verkehrsinfrastruktur wurden 2011 rund 505 Millionen Euro veranschlagt. Rund 70 Prozent davon sind für die benachteiligten Regionen im Süden und im Westen des Landes vorgesehen. Aber, um ehrlich zu sein, es ist ein schwieriger Prozess, der dauern wird.

Welche Rolle spielt der Tourismus?

Die letzte Saison ist für uns schlecht gelaufen. Ein Land im Kriegszustand als Nachbarn zu haben fördert nicht das Vertrauen der Urlauber. Aber wir sind dabei, den neuen Tourismus zu entwickeln. Wir wollen mehr Qualität und eine bessere touristische Infrastruktur auch im Landesinneren.

Und diese Maßnahme wird Tunesier davon abhalten, übers Mittelmeer ins Ausland zu fliehen?

Wir sind sehr enttäuscht darüber, wie schlecht Europa diese Migranten behandelt hat, trotz der Ausnahmesituation unseres Landes. Wir selbst haben 100.000 Libyer aufgenommen.

Was erwarten Sie von der Anbindung an die EU?

Wir hatten schon vor der Revolution die Beziehung eines „fortgeschrittenen Status“. Unser Problem damals waren die Menschenrechtsverletzungen und das Demokratiedefizit. Jetzt fühlt sich die EU solidarischer mit Tunesien. Es gibt eine Task Force für die Beziehungen. Wir hoffen, dass wir zu einem assoziierten Staat werden. Dazu gehört auch die Freizügigkeit des Arbeitsmarkts. Bislang ist es schwer für tunesische Fachkräfte, ein Visum für Europa zu bekommen.

Guido Westerwelle hat Ihnen starke Unterstützung zugesagt. Wie sehen Sie die Beziehung zu Deutschland?

Mehr als 160 deutsche Unternehmen sind in Tunesien aktiv. Die meisten von ihnen wollen sich nun vergrößern. Wir können mit Deutschland etwa im Energiesektor viel entwickeln. Wir sind das Tor zu Afrika und zum Maghreb.

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