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Ein Skelett aus dem Fundus

OPERNPREMIERE Marco Arturo Marelli hat an der Deutschen Oper Verdis „Don Carlo“ neu inszeniert. Aber statt großer Politik sind nur Pappmauern zu sehen

Diese Oper ist tot, nur noch ein Gerippe, das irgendwo im Kostümfundus herumhängt. Notdürftig hält sie sich mit dem Repertoire und einem halben Dutzend konzertanter Aufführungen über Wasser

VON NIKLAUS HABLÜTZEL

Am Ende kommt auch noch der leibhaftige Knochenmann aus den Kulissen, die schon die ganze lange Zeit jedem vernünftigen Theaterspiel im Wege gestanden haben. Riesige Betonmauern. Meistens lassen sie einen kreuzförmigen Spalt offen, den wir schwer symbolisch als das Kreuz Christi deuten müssen, an dem wir angeblich alle so schwer zu tragen haben. Ob wir uns im Garten der Königin, im Schlafgemach des Königs oder auf der Straße befinden: Spanien ist so sehr mit Pappe zugemauert, dass es ziemlich egal ist, wer da mit wem herumzankt, liebt, mordet und Flanderns Freiheit fordert. Der Statist, der mit seinem aufgeschminkten Totenschädel unter dem weißen Kapuzenmantel herumtappert, sagt alles: Diese Oper ist tot, nur noch ein Gerippe, das irgendwo im Kostümfundus herumhängt.

Enorme Anstrengungen werden nötig sein, sie wieder zum Leben zu erwecken. Sie hält sich mit dem Repertoire und einem halben Duzend konzertanter Aufführungen notdürftig über Wasser. Verdis „Don Carlo“ ist die einzige echte Bühnenpremiere im Haus an der Bismarckstraße in diesem Jahr, drei weitere werden nächstes Jahr folgen, von denen eine auch nur eine Wiederaufnahme aus dem Rossini-Festival von Pesaro 1999 ist. Mehr hat die im Sommer aus dem Amt geschiedene Intendantin Kirsten Harms nicht hinterlassen, und Marco Arturo Marelli sah offenbar keinen Anlass, ihren letzten Auftrag besonders ernst zu nehmen. Immerhin war hier von ihm einmal eine sehr gelungene Inszenierung von Debussys „Pelleas et Mélisande“ zu sehen, und auch seine „Ägyptische Helena“ von Richard Strauß – eine typisch Harms’sche Ausgrabung eines zu Recht vergessenen Stücks – war ein recht unterhaltsames Märchen für reifere Ehepaare.

Zu Verdi und Schiller aber ist ihm gar nichts eingefallen, obwohl das Stück geradezu nach aktuellen Bezügen schreit. Marquis de Posas Beschreibung Flanderns könnte ohne Weiteres als Korrespondentenbericht aus dem Syrien von heute durchgehen, und die Konsequenzen, die Posa mit seinem König verhandelt, sind bestürzend gegenwärtig. Am Tag der Premiere fanden in Tunesien die ersten freien Wahlen statt, aber natürlich nicht in Marrellis Pappbunker. Besonders unsinnig dumm tritt dort ausgerechnet der Großinquisitor als blinder Greis auf, der seinen Weg mit dem Stock ertasten muss. Nach dem Deal mit dem König – Sohnesmord gegen die Auslieferung des Rebellen – darf er dann furchterregend lächerlich mit dem Zeigefinger auf den Untergang der Welt zeigen. Selbst in Hollywood wäre so was einfach verboten.

Aber wir sind an der Deutschen Oper, dem Museum für den schlechten Geschmack von gestern. Schade für Verdi, der dort niemals hingehört. Zu seiner Ehrenrettung (20 Jahre hatte er an seiner Version des Dramas von Friedrich Schiller gearbeitet) gelingt es den Sängern immer wieder, etwas von der Macht dieses Höhepunkts der Operngeschichte wenigstens hören zu lassen. Der Dialog zwischen Roberto Scandiuzzi als Philipp II. und Ante Jerkunica als Großinquisitor wird auch hier zur Schlüsselszene, die unter die Haut geht. Scandiuzzis golden glänzender Bass wird fahl unter der schneidenden Härte, mit der Jerkunica seine grauenvollen, religiösen Dogmen durchsetzt.

Auch Boaz Daniel geling es immer wieder mit seinem schlanken Bariton, einen Posa zu zeichnen, der glaubwürdig zwischen Opportunismus und politischer Weitsicht hin und her schwankt. Massimo Giordano dagegen leidet an einer lauten Tenorstimme, die er so schwer beherrschen kann, dass ihm keine Zeit bleibt, seinem Don Carlo ein vergleichbares Gewicht zu geben. Ein stürmischer Flegel halt, von dem man nicht so recht weiß, warum ihn die unglückliche Elisabeth von Valois noch immer liebt. Die junge Sopranistin Lucrezia Garcia aus Venezuela, die für die verhinderte Anja Harteros einsprang, konnte das nicht erklären, aber sie sang mit einer unglaublich schönen Stimme, die ohne weiteres mit der erfahrenen Russin Anna Smirnova als Prinzessin Eboli mithalten konnte.

Das lässt immerhin hoffen, aber der Weg zur großen Oper ist sehr lang. Sogar das Orchester spielt inzwischen nur noch fußwund und ermattet ungefähr so, wie Runnicles den Takt schlägt. Für Verdi ist das viel zu wenig.

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