: Paradoxe Situation
PSYCHISCH-KRANKEN-GESETZ Der Senatsentwurf dafür muss endlich ins Abgeordnetenhaus, fordert ein Bündnis
„Psychiatrie braucht Kontrolle“, sagt Matthias Rosemann, Geschäftsführer der Träger gGmbH und Mitglied im Landespsychiatriebeirat. „In Berlin werden Psychiatrien nicht extern kontrolliert, in anderen Bundesländern gibt es seit Jahren Besuchskommissionen.“ Solche Kommissionen sind auch für Berlin geplant. Im Entwurf der Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales zur Reform des Psychisch-Kranken-Gesetzes sind sie verankert – doch Rosemann hat Zweifel, dass der Entwurf noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet wird. Seit eine Arbeitsgruppe des Psychiatriebeirates im Sommer zum Entwurf Stellung genommen hat, ruht der Prozess. Deshalb stellte Rosemann gestern gemeinsam mit Joachim Zeiler von der Arbeitsgemeinschaft der ChefärztInnen Psychiatrischer Abteilungen, Marianne Schumacher vom Landesverband Angehöriger psychisch Kranker und Christian Reumschüssel-Wienert vom Paritätischen Wohlfahrtsverband einen offenen Brief an Gesundheitssenator Czaja (CDU) vor.
Darin wird Czaja aufgefordert, den Entwurf schnellstmöglich dem Abgeordnetenhaus vorzulegen. „Das muss unbedingt vor der Sommerpause passieren“, betont Heiko Thomas, gesundheitspolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion. Er hat den Brief ebenfalls unterschrieben und fürchtet, dass während der anstehenden Haushaltsberatungen kaum Zeit für notwendige Debatten bleibt – oder die Reform wieder für Jahre verschoben wird.
Dabei ist eine Überarbeitung des Gesetzes dringend notwendig. Nach einem Verfassungsgerichtsurteil von 2011 dürfen Menschen nicht mehr zwangsweise behandelt werden, es sei denn, sie stehen unter Betreuung und ein Gericht erlaubt den Eingriff. Doch das ist ein langwieriges Verfahren – und nicht alle psychisch Erkrankten brauchen eine Betreuung. In der Praxis bestehe deshalb große Rechtsunsicherheit, so Rosemann. Paradox: Menschen würden zwar in Psychiatrien eingewiesen, könnten dort aber nicht behandelt werden.
Ein weiterer Grund für die Dringlichkeit sieht Reumschüssel-Wienert in Regelungen für ambulante Hilfen. Aus der UN-Behindertenrechtskonvention ließe sich ableiten, dass vor einer Zwangsunterbringung alle anderen Hilfen ausgeschöpft sein müssten. In Berlin fehle dafür aber die Rechtsgrundlage.
Reinhard Wojke von der Organisation Psychiatrieerfahrener hat jedoch auch Kritik am Entwurf. Die erkennungsdienstliche Behandlung aller Eingewiesenen etwa sieht er als Kriminalisierung. Es besteht also Diskussionsbedarf. Dafür braucht es nach Rosemann ausreichend Zeit und Ruhe. Die Senatsverwaltung will den Entwurf aber erst im Herbst vorlegen. HILKE RUSCH
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