ausgehen und rumstehen: Tschingderassabumm: Wer desertiert, den fangen die Feldjäger
Die ersten Mongolen mit bunten Orden an der Uniform trifft man bereits auf der Fußgängerbrücke überm Nordkreuz, wo man Züge und Flugzeuge nach Tegel kontrolliert. Drei jung gebliebene Erwachsene nutzen die Schrägheit der Brücke für diverse Skateboardabfahrten, wobei sie die Mongolen haarscharf umrunden. Die Militärs sind Teilnehmer des 13. Berliner Militärmusikfests. Das lockt immerhin drei Tage lang jeweils rund 7000 Leute an. Militärmusikfans hatten bis zum Mauerfall ja eher schlechte Karten in Berlin.
Vor der Max-Schmeling-Halle stehen leider keine Panzer. Die Lkws des neumodischen Bundeswehrfuhrparkmanagments (erfunden übrigens von Ex-tazler Dirk Wildt) sehen harmlos aus. Sie sind weiß, wären also nur im ewigen Eis gut getarnt. Friedensmission mit Tschingderassabumm, im Grußwort von Verteidigungsminister Jung zitiert der sogar Gustav Mahler: „Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.“ Immerhin wünscht sich Jung ein „musikalisches Feuerwerk“.
Im Innenraum der Halle werden gerade hübsche Teenies in kurzem Alpen-Lederhosenoutfit vom Flensburger TSB in Rhönrädern gefoltert. Dazu läuft eine Kinderchorversion von Rammsteins Engel-Song. Bei der Zeile „Gott weiß, ich will kein Engel sein“ werden den Girls die weißen Flügel abgenommen. Wer später eine gute Soldatin werden will, kann eben nicht nur Engel sein, vorher sollte auf alle Fälle eine bayrische Hundeschule besucht werden. Selten so viele Uniformen gesehen. Sogar sexy Lederkerle von der Motorradtruppe der Militärpolizei (MP) sind vertreten.
Nachdem die Rhönräder aus der Halle gerollt sind, kündigt der etwas zu gut gelaunte zivile Ansager den nächsten Act an: das Stabsmusikkorps der Indischen Armee unter der Leitung von Colonel KS Ram Mohan und Bandmaster Subidar KB Gurung. Bei so viel Fremdheit wollen die konservativen Rentner unter den Zuschauern (Durchschnittsalter knapp über Lionel Richie) beruhigt sein. Deshalb wird mehrmals betont, Indien, das „Land voller Geheimnisse und filigraner Paläste“, gehöre zum Commonwealth. Fast jazzig wird es, als sich vor das Blasorchester Musiker mit Tablas und Sitar auf den Boden hocken. Am Bratwurststand hört man später einen älteren Herrn sagen, dass nur die Inder ihm nicht so ganz gefallen hätten.
Am liebsten klatscht das Publikum bei knackigen Märschen mit, es schadet aber auch nichts, mal was von Abba zu spielen. Schon folgt der Einmarsch der verbündeten Weißrussen vom Repräsentationsorchester der Streitkräfte der Republik Weißrussland. Endlich gibt’s einen zünftigen weiblichen Kasatschok und den Sänger Vladimir Jaskewitsch. Ach diese Uniformen. Falls jemand desertiert, fangen ihn die Feldjäger neben mir.
Im Keller beim Bundeswehrcatering trainiert der Soldat in der Pause bei Bockwurst und Bier den Umgang mit dem Gewehr. Fast fällt einem der Senf runter, als die Typen vom Wachbataillon ihre Gewehre auf den Betonboden knallen, um das Salutieren zu üben.
Dann doch mal rüber zum Jazzfest in der Kulturbrauerei. Das Durchschnittsalter ist nicht viel niedriger, der Frauenanteil aber geringer, die Atmosphäre ernster. Es tritt eine Band aus Dänemark auf, die immerhin vom Namen her eine Analogie schafft: Simon Toldam & Prügelknabe. Der 26-jährige Pianist hat den brachialen Bandnamen aber leider nur wegen des Wortklangs gewählt. Seine Band mit zwei Sängerinnen und Streichern beschränkt sich hauptsächlich auf die Herstellung sphärischer Klänge. Wenn improvisiert wird, wirkt das planvoll und unspontan. Dann lieber Märsche.
Auf der Radrückfahrt stoppt man noch auf der Jannowitzbrücke und beobachtet Tischtennisspieler in der fiesen Chinesischen Botschaft. Und freut sich auf das Aufhängen des Frühstücksfotos von Alexandra Schiltz, das man Freitagabend bei der angenehm unprätentiösen Neuköllner Kunstpräsentation nachtundnebel für nur 15 Euro erworben hatte. ANDREAS BECKER
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