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Ein Anfang, der hoffen lässt

AUSSTELLUNG Nach der Devise „Versöhnung mit der Welt“ hat im Teheraner Museum für zeitgenössische Kunst eine große Retrospektive des ZERO-Künstlers Otto Piene eröffnet

„Proliferation of the Sun“ wirkt als humanitäre Vision vom offenen Kunstwerk taufrisch

VON REGINE MÜLLER

Die jüngsten Meldungen aus der Kulturszene des Iran könnten widersprüchlicher nicht sein: In der vergangenen Woche sorgte die Nachricht, dass das Teheraner Kulturinstitut Sarcheshmeh mit dem dortigen Haus der Karikatur zum zweiten sogenannten Karikaturenwettbewerb über den Holocaust aufruft, einmal mehr für Negativschlagzeilen. Zeitgleich jedoch eröffnete im Tehran Museum of Contemporary Art (TMOCA) als Frucht einer groß angelegten deutsch-iranischen Zusammenarbeit eine umfassende Werkschau des im vergangenen Sommer verstorbenen ZERO-Künstlers Otto Piene. Zufall oder Wahnsinn mit Methode?

Die Öffnung Richtung Westen ist seit dem Amtsantritt von Präsident Hassan Ruhani offizielles Programm, seine Devise lautet „Versöhnung mit der Welt“ und auch sein Kulturminister gibt zu Protokoll, er verstehe Kunst als „Mittel des Dialogs“. Tatsächlich scheint im Gottesstaat ein zögerliches Tauwetter eingesetzt zu haben, selbst wenn der Karikaturenwettbewerb dagegen sprechen könnte. Die Koinzidenz beider Ereignisse zeigt jedoch nur, dass dort derzeit widerstrebende Kräfte am Werk sind. Die Frontverläufe weichen auf, werden durchlässiger, aber auch unübersichtlicher. So, wie im Straßenbild die jungen Frauen auffallen, die das Kopftuchgebot sehr selbstbewusst interpretieren und das vorgeschriebene Kleidungsstück betont locker und kaum noch verhüllend tragen.

Schon der Titel der Piene-Schau „Rainbow“ könnte als Provokation verstanden werden. Denn er ist eine Reminiszenz an Pienes „Olympia Regenbogen“, der 1972 die Abschlussfeier der Olympiade in München krönte. Damals war das imposante Himmelkunstwerk ein Symbol der Hoffnung nach den terroristischen Anschlägen während der Spiele. Auch in Teheran wölben sich am Eröffnungsabend zwei mit Helium gefüllte Plastikschläuche über dem Eingang des renommierten Teheraner Museums.

Das 1977 eröffnete Haus mit seiner raffinierten, labyrinthisch anmutenden Architektur stammt noch aus der Zeit des Schahs, Farah Diba hatte es erbauen und mit einer hochkarätigen Sammlung bestücken lassen, in der sich millionenschwere Kunst von unter anderen Bacon, Picasso, Warhol, Calder und Pollock befindet. Seit 1979 Ajatollah Khomeni die „Islamische Republik“ ausrief, ruhen die Schätze im Depot und haben in der westlichen Kunstwelt einen mythischen Ruf.

Bei der Piene-Eröffnung kann das TMOCA den Publikumsansturm kaum fassen. Vor allem junge Frauen harren geduldig aus, bis nach den zahlreichen offiziellen Ansprachen endlich die Räume freigegeben werden können. Auch am Tag zwei nach der Eröffnung ist der Andrang groß, wieder sind die Frauen in der Überzahl. „Für uns ist das sehr wichtig, dass wir eine Ausstellung eines bedeutenden Künstlers der westlichen Welt hier sehen, denn wir können nicht einfach reisen wie Studentinnen in Europa. Wir hoffen, dass das nur der Anfang ist und wir noch mehr zu sehen bekommen“, geben zwei Kunststudentinnen zu Protokoll.

Etwa 90 Werke des ZERO-Künstlers wurden für die Schau zusammengetragen. Kuratiert und organisiert wurde die Ausstellung in deutsch-iranischer Zusammenarbeit mit der Düsseldorfer Galerie Breckner, dem Museums-Team aus Teheran unter seinem Leiter Madschid Mollanorusi und dem stellvertretenden Direktor der Nationalgalerie Berlin Joachim Jäger. In Berlin hatte im vergangenen Sommer die letzte große Piene-Ausstellung zu Lebzeiten des Künstlers stattgefunden, einen Tag nach der Eröffnung verstarb Piene im Alter von 86 Jahren.

Die Ausstellung im Iran hatte Piene aber noch selbst mitkonzipiert. „Otto Piene hielt die Möglichkeit, in dieser seit Jahren eher abgeschlossenen iranischen Gesellschaft auszustellen, für eine große Chance“, sagt Kurator Joachim Jäger. Schon im Treppenhaus erwarten die Besucher Pienes spektakuläre Himmelsskulpturen „Inflatables“. Die aufblasbaren, leuchtend farbigen Luftskulpturen, die an baumdicke Pflanzen mit sternförmigen Blüten erinnern, scheinen im kreisförmig ansteigenden Foyer des TMOCA regelrecht zu wuchern. Von stillerem, dafür magischem Effekt dagegen sind die „Lichtgeister“, wechselnd beleuchtete Glasskulpturen, die von dem lichten, blau-grünen Farbspiel der Imam-Moschee in Isfahan inspiriert sind. Diese Skulpturen hat Piene eigens für die Teheraner Schau geschaffen. Der Bezug zur persischen Kultur erschließt sich jedem Iraner unmittelbar, wie Besucher der Eröffnung versicherten. Ebenso knüpfen die späten Keramikarbeiten Pienes direkt an die uralte persische Tradition an. Und sogar der Regenbogen hat für Iraner eine besondere, die Elemente versöhnende, spirituelle Bedeutung, wie eine Besucherin in einem Zwischenruf während der Eröffnungsfeierlichkeiten erklärt.

Die vielfältigen Möglichkeiten der Architektur des TMOCA scheinen für Pienes Kunst wie gemacht, denn sie bietet intime Räume mit niedrigen Decken, in denen seine Feuergouachen intensiv zur Geltung kommen und reizvolle Nischen, in denen Keramikeinzelstücke wie kostbare Gegenstände der Anbetung wirken. Die kühle Modernität der großzügigen Räume dagegen nutzt die Schau für Installationen wie „Proliferation of the Sun“, jene Diaprojektion, die Piene bereits in der Jahren 1966–67 entworfen hat. Tatsächlich hat die Installation, die technisch aufwändig auf den Stand des 21. Jahrhunderts gebracht werden musste, von ihrer psychedelischen Wirkung nichts eingebüßt und wirkt in ihrer humanitären Vision vom offenen Kunstwerk taufrisch. „Zeitgenössisch an Piene ist das Interdisziplinäre, das prozesshafte und globalisierte Denken“, sagt Joachim Jäger, „das sind Elemente, die wirklich visionär waren.“

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