DIE GESELLSCHAFTSKRITIK: Junkies auf Rezept
WAS SAGT UNS DAS? In den USA feiert Heroin ein trauriges Comeback – als Schmerzmittelersatz
Der amerikanische Herointote ist heute jung, weiß und kommt aus dem Mittleren Westen. Das besagt eine Studie des US-amerikanischen Amtes für Gesundheitsstatistiken. Das Bild des schmutzigen Junkies aus der Bronx hat ausgedient. Die Droge hat sich im vergangenen Jahrzehnt in allen Alters- und Bevölkerungsgruppen ausgebreitet, überall sind die Zahlen der Todesopfer gestiegen. Auch wenn die Gründe für die Entwicklung nicht ausreichend erforscht sind: Experten vermuten einen Zusammenhang mit der laxen Verschreibungspolitik von Schmerzmitteln in amerikanischen Arztpraxen.
Chronische Schmerzen werden in den USA oftmals voreilig mit harten Painkillern bekämpft. Weil die Dosis der verschriebenen Tabletten oft von Anfang an recht hoch ist, entwickeln die Patienten schnell eine Toleranz – und brauchen stärkere Mittel, um noch etwas zu spüren. Aus der Gewöhnung entsteht eine Sucht nach dem High, die mit der Bekämpfung von Schmerzen nicht mehr viel zu tun hat. Wenn dann das Rezept ausläuft und das Geld nicht mehr reicht, greifen offenbar viele zu Heroin. Der Rausch ähnelt sich, beides sind Opiate. Die Dealer haben sich an die neue Kundschaft angepasst und sorgen direkt vor Ort für Nachschub.
„Da gibt es ganz neue Märkte, zum Beispiel in Vorstädten. Dort hat Heroin früher gar nicht existiert“, sagte der Suchttherapeut Dr. Andrew Kolodny gegenüber der New York Times. Der so oft proklamierte „war on drugs“, er sollte heute wohl nicht mehr in düsteren Gettos oder südamerikanischen Urwäldern ausgetragen werden, sondern direkt in den Arztpraxen im Herzen der USA. QUENTIN LICHTBLAU
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