: Ein glücklicher Augenblick
Erstmalig in Deutschland zeigt das Museum für Asiatische Kunst Dahlem Meisterwerke der frühen Fotografie in Indien. Deren Aufmerksamkeit galt vor allem dem islamischen Indien der Mogulzeit
VON BRIGITTE WERNEBURG
Die „Picturesques Views“ im Museum für Asiatische Kunst in Dahlem entstanden zu einem glücklichen Zeitpunkt. Denn als die Fotografie Mitte des 19. Jahrhunderts auch in Indien Einzug hielt, war die Frage durchaus strittig, was das neue Medium zu leisten vermochte. Die nun in Dahlem vorgestellten Fotografen vertraten mit ihren zwischen 1850 und 1880 entstandenen Aufnahmen das Anliegen der Kunstfotografie. Samuel Bourne, Bankkaufmann aus Nottingham und einer der herausragenden Protagonisten der Ausstellung, näherte sich den islamischen Gärten des Kaschmirtals nicht anders als zuvor den wildromantischen Landschaften von Wales, des Lake Districts oder Schottlands. Hier wie dort sucht er das Erhabene und Pittoreske, das er nun in der Bergwelt des Himalaja oder den malerischen Gärten und den nicht minder malerischer Ruinen von Agra fand. Zwangsläufig stieß er in Indien – auf Europa. Gerade deshalb aber war der Subkontinent für ihn nie ein koloniales Motiv.
Nicht die frühen Sakralbauten des Buddhismus und Hinduismus interessierten ihn und seine Kollegen John Murray, Felice Beato, Thomas Hesketh Biggs oder James Craddock. Umso mehr faszinierten sie die – dank der Orientbegeisterung Europas im 18. Jahrhundert – sehr viel vertrauter anmutenden islamischen Bauwerke der Mogulzeit (16. bis 19. Jahrhundert). Sie wirken in ihren Aufnahmen auch nicht wirklich fremd; und exotisch nur in dem Maße, in dem auch die Ruinen des alten Roms als reizvoller Bildgegenstand der Kunstfotografie galten.
Natürlich ist die fehlende Exotik auch dem fehlenden Alltag und seinen Menschen geschuldet. Die langen Belichtungszeiten machten solche Aufnahmen unmöglich.
Nicht erst heute, an den Wänden des Dahlemer Museums, bezaubern die kostbaren Blätter durch die entrückte Melancholie ihrer Kompositionen; die besondere Stimmung des Lichts, die schillernden Wasserflächen, in denen sich der Himmel oder das Blattwerk der Bäume spiegelt. In ihrem, von jedem dokumentarischen Ehrgeiz unbeleckten Bemühen, um das malerische Bild, gelangen den Fotografen Aufnahmen von bemerkenswerter Schlichtheit, ja Modernität.
Das am meisten fotografierte Motiv, mit dem die Ausstellung auch eröffnet, war selbstverständlich das Taj Mahal, das Grabmal, das Shãh Jahãn (1592–1666) seiner Lieblingsgattin Arjumand Banu Begum nach ihrem frühen Tod 1631 erbauen ließ. Neben einer anonymen Aufnahme, die das weiße Marmormausoleum weit entfernt am Horizont einer kargen Steppe entdeckt, fällt besonders ein gewachstes und übermaltes Papiernegativ auf, das von John Murray stammt. Das enorme, knapp 40 mal 50 cm messendes Format gibt eine Vorstellung davon, mit welchen riesigen Apparaten der Militärarzt – wie viele Fotopioniere Amateur – unterwegs gewesen war, welchen Aufwand es bedeutete zu fotografieren.
Nicht weniger beeindruckend als das Taj Mahal erscheinen Felice Beatos Ruinenansichten von Lucknow, deren mehr als pittoresker Eindruck sich dem Mutiny-Aufstand von 1857 verdankt. Die legendären Stadt verdankte ihren raschen Wiederaufbau in all der exzentrischen Pracht, die spätere Fotografien von Samuel Bourne eindrucksvoll wiedergeben, der Faszination der Briten an ihrem absolut eklektischen Neomogulstil.
Das neue Aufzeichnungsverfahren zog aber auch die indische Nobilität selbst in seinen Bann. Eine emblematische Porträtaufnahme des Studios Bourne & Shepard zeigt den jungen Nizam von Hyderabad mit Schwert und Fotoalbum. Schon als Kind einer der reichsten Potentaten der damaligen Welt, wurde er später zu einem der wichtigsten Förderer der Fotografie. Sein bevorzugter Fotograf war der Inder Lala Din Dayal, von dem die Ausstellung ein Porträtfoto der Tochter des Nizams mit ihrem Jagdgeparden zeigt.
Ähnlich den Exponaten verdankt sich die Ausstellung selbst einer glücklichen Konstellation. Angeblich banale Archivalien, in einer Kiste aus St. Petersburg nach Leipzig restituiert, entpuppten sich als Konvolut von Aufnahmen Samuel Bournes. Der Fund, so Kurator Raffael Dedo Gadebusch, veranlasste die Sammler Olivier Degeorges und P. & G. Bautze dem Museum weitere wichtige Arbeiten, darunter viele noch nie publizierte Aufnahmen, für eine Ausstellung zu überlassen. Noch eine glückliche Konstellation.
Bis 29. Februar: Museum für Asiatische Kunst, Lansstr. 8, Di–So 10–18 Uhr, Katalog (Hatje Cantz) 24,50 €
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