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Keulenschlag vom Klubpatron

KRISE Hannover 96 hinkt seinen Ansprüchen weit hinterher. Zudem zanken sich die Ultras und der Präsident. Vor dem Spiel gegen die Bayern versucht der Verein mit einem offenen Brief die Stimmung aufzubessern

„Druck ist bei mir gut aufgehoben. Um ihn kümmere ich mich, er ist mein ständiger Begleiter“

TRAINER TAYFUN KORKUT

AUS HANNOVER FRANK HELLMANN

Schon zu Jahresbeginn hat man in Hannover Einblicke in die Welt der Extreme bekommen. Als man das Trainingslager an der Türkischen Riviera bezog, herrschte am ersten Tag eisige Kälte, der Wind peitschte durch die Hotelanlagen, der Regen prasselte unaufhörlich. Doch alsbald verzog sich das Orkantief aus der Mittelmeerregion, der Himmel riss auf, die Temperaturen kletterten unverhofft in sehr angenehme Höhen.

Die meteorologischen Launen stehen derzeit sinnbildlich für die latente Wankelmütigkeit dieses Bundesligisten, bei dem vor dem Gastspiel des FC Bayern (Samstag, 15.30 Uhr) fast schon Endzeitstimmung herrscht: So finster sind die Prognosen, so düster die Perspektiven, dass die Klubführung einen offenen Brief verschickt hat. „Wir haben die Situation, die es in dieser Form noch nicht gegeben hat und die ganz sicher niemand so haben wollte, unterschätzt und uns von der öffentlichen Diskussion treiben lassen.“ Der seit 2002 wieder erstklassige Klub habe sich vom Wesentlichen abbringen lassen und versichert nun in Schriftform, dass „wir uns tatsächlich auf das Spiel gegen Bayern München freuen“. Gemeint ist damit wohl unter anderem das derzeit für viel Unruhe sorgende Zerwürfnis zwischen Präsident Michael Kind und den Ultra-Fans des Vereins. Zudem erfolgt der Hinweis, dass „viele Traditionsvereine, die in den unteren Ligen spielen, gerne mit uns tauschen würden.“ Hilft also das Schicksal von Hansa Rostock und Dynamo Dresden, Rot-Weiss Essen oder Kickers Offenbach als Mutmacher? Eine skurrile Argumentation.

Sicherlich war es ein Kardinalfehler, wenn man an die von Präsident Martin Kind vor Saisonbeginn postulierten Ziele („Platz unter den ersten sechs“) denkt, den Blick selbst in der Winterpause ausschließlich nach oben zu richten. Trainer Tayfun Korkut und Sportdirektor Dirk Dufner hatten allergrößte Mühe, einen Mittelplatz als Erfolg zu verkaufen, der die Chance bietet, im Saisonendspurt an den Europapokalplätzen zu kratzen. Wenige Wochen später muss nun die sportliche Leitungsebene um ihren Job fürchten. Die vom ungeduldigen Kind in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung getätigte Ansage in Richtung Trainer war deutlich: „Ich schätze Herrn Korkut sehr. Aber für uns als Verein geht es darum, seine Arbeit und die Ergebnisse seiner Arbeit zu beurteilen. … Es ist nicht die erfolgreichste Arbeit.“ Ein Keulenschlag vom Klubpatron. Fakt ist: Der wirtschaftliche Aufwand – für den 96-Kader wird ein Etat von 39 Millionen Euro kolportiert – steht in keinem guten Verhältnis zum sportlichen Ertrag.

Der bald 71-jährige Vereinsboss argumentiert vor den Herausforderungen gegen Bayern, Gladbach und Dortmund erstaunlich widersprüchlich: Einerseits gebe es weder eine Trainerdiskussion noch eine Vorgabe für den Dreierpack, andererseits „sollten wir drei Punkte holen“. Gleichwohl gelang aus den vergangenen zwölf Bundesligaspielen nur ein Sieg. Korkut hat deshalb nicht nur bei Kind Vertrauen verspielt, sondern auch bei der Öffentlichkeit. Seine Umfragewerte sind miserabel. „Druck ist bei mir gut aufgehoben. Um ihn kümmere ich mich, er ist mein ständiger Begleiter“, meint der 40-Jährige, der nach eigener Aussage jetzt nicht anfangen werde, „ein anderer Mensch zu werden“.

Das muss der ehemalige türkische Nationalspieler auch nicht, doch bleibt bei ihm vieles im Ungefähren. Ähnliches gilt für die Bilanz des Managers Dufner. Das vom 47-Jährigen maßgeblich mit zusammengestellte Aufgebot vereint fraglos mehr individuelle Qualität, aber passt das auch im Kollektiv zueinander? Hinderlich ist in dieser vertrackten Gemengelage, dass der Riss zwischen den Ultras und der Führungsspitze kaum mehr zu kitten ist – ein Schulterschluss zwischen Fans und Verein sieht anders aus. Was da noch hilft? Die Hoffnung auf eine unverhoffte Klimabesserung wie im vergangenen Jahr, als nach der Derbyniederlage gegen Eintracht Braunschweig vier Siege aus den letzten fünf Spielen dafür sorgten, dass am Maschsee ein Saisonende mit ausreichend Sonnenschein gefeiert wurde.

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