piwik no script img

Salonpop im Fauteuil

Der Prenzlauer Berg produziert seinen ganz eigenen Sound: Bruno Franceschini und Jan Böttcher vom „Textton-Label“ Kook sangen im Grünen Salon der Volksbühne. Bei Beck’s und Espresso freut sich das Publikum über den Mix aus Musik und Literatur

VON ANSGAR WARNER

Freitagabend im Grünen Salon der Volksbühne: die Kasse im Treppenhaus hat gerade aufgemacht, auf der Bühne werkeln noch ein paar Techniker, und im Halbdunkel klirren die ersten Bionade- und Beck’s-Flaschen. Ein Plakat am Eingang verrät: Das Berliner „Textton-Label“ Kook hat zum Kook Club geladen. Kleine blaue Flyer, quadratisch wie ein CD-Cover, kündigen zwei Namen an: Bruno Franceschini & Band, sowie Jan Böttcher, „die Stimme von Herr Nilsson“. Franceschini steht höchstpersönlich neben der Bühne und trinkt einen Espresso zur Beruhigung. Es gab Probleme beim Soundcheck, man arbeitet dran. Keine gute Gelegenheit, mal nachzufragen, was das eigentlich sein soll, ein Textton-Label. Glücklicherweise habe ich das aber schon gemacht.

Rückblende: ein paar Tage vorher, in einer Wohnung an der Ecke Eberswalder Straße/Schönhauser Allee. U-Bahn, Straßenbahn, Lkws rumpeln vorbei. Franceschini stellt zwei schwere Espressotassen auf den Tisch. Der Prenzlauer Berg produziert seinen ganz eigenen Sound. Daran ist der in Rom geborene Wahlberliner mit deutschem Großvater nicht ganz unschuldig. Mit Titeln wie „Peut-être auch zerstörerisch“, „Reisigland“ oder „Elf Aquitaine“, aber auch gekonnten Italo-Einlagen hat er sich in den letzten Jahren eine wachsende Fangemeinde erobert. Die letzte CD erschien bei Kook. Einer der Label-Chefs heißt: Bruno Franceschini. Ursprünglich als Low-profit-Unternehmen von Künstlern für Künstler gegründet, will man 2008 erstmals schwarze Zahlen schreiben. Auf dem Küchenzettel des Labels stehen zurzeit Bands wie Kokon, Zimtfisch oder Post Holocaust Pop.

Kook records hat eine Kulturmission: Musik und Literatur so zu kombinieren, dass es dem Publikum Spaß bringt und den Produzenten eine Handvoll Euros. Es gehe nicht um „homologisierte Indie-Klänge“, sondern um Musik, bei der die Texte wichtiger sind als Dezibelzahlen. Und Franceschini wirft einen weiteren Begriff in den Ring: „Textpop“. Ein Texttonlabel also für Textpop aus Berlin. Ist das die Fortsetzung des Diskurs-Rocks mit anderen Mitteln? Da zumindest ist Franceschini eher skeptisch: „Die Bands bei Kook ahmen nicht die Hamburger Schule nach!“ Und kommt zurück auf die Funktion des Labels: nicht nur Texte und Musik zusammenbringen, sondern auch die richtigen Leute. Zu Demonstrationszwecken wird eine CD eingelegt. „Dies ist eine Kumpanei, ein echter Freundeskreis, wo jeder nur das Nötigste vom anderen weiß“ singt Jan Böttcher alias Herr Nilsson, der Track heißt „Vitamin B-Werke“.

Auch Böttcher ist einer der Label-Macher, und man kennt sich gut. Passend also, dass er sich beim zweiten Kook Club mit Franceschini die Bühne des Grünen Salons teilt. Von den Espressotassen also zurück zu Beck’s und Bionade. „Der erste Teil wird ziemlich traurig“, kündigt Jan Böttcher seinen Soloauftritt an. Doch traurig, das gilt streng genommen nur für den ersten Song. Denn Jan Böttcher bietet eine Palette von skuril-komischen Titeln, die von rezenter Filmanalyse („Bruno Ganz ist Adolf Hitler“), verfänglichen Telefongesprächen („Sie ist eine nette Frau, er ist beruflich in der Stadt“) bis zur Politkritik am Innenminister der großen Koalition reicht („Kommando Kassandra“). Als Zugabe gibt es dann noch ein paar „schnöde, leicht zu verstehende Abschiedslieder“.

Der Grüne Salon ist mittlerweile gut gefüllt, und nach der Pause füllt sich auch die Bühne. Bruno Franceschini und Band legen los: „Bereit fürs Showdown, 20 Freunde mehr als vom Ordnungsamt erlaubt“. Der Sound stimmt, doch das Tempo ist fast schon ein bisschen zu schnell, um nicht zu verpassen, dass sich „ARD“ auf „Luganer See“ reimt und auf „Ich will die Hälfte von Elf Aquitaine“ der Zusatz folgt „und dich nur dienstags sehen“.

Dass es so lyrisch wird, ist der Lesebühnenerfahrung von Monika Rinck und Tilman Rammstedt zu verdanken, die viele Texte für Bruno Franceschini geschrieben haben. So erfährt man an diesem Abend von der Last der To-do-Listen, Dompteusen, die den Dompteur verlassen, und von Liebesbeweisen aus alter Lakritz. Zwischen die deutschen Texte mischen sich italienische, da ist vom römischen Stadtviertel Rebibbia die Rede oder von apulischen Großfamilien. Dem Publikum gefällt das so gut, dass zahlreiche Zugaben gefordert werden. Gegen Mitternacht sitzt Franceschini schließlich mit Beck’s-Flasche selbst in einem der Fauteuils. Heute kein Espresso mehr. Der Abend geht mit DJ-Musik weiter und später auf der Schönhauser Allee mit einer Erkenntnis: Dieser Textpop ist eigentlich Salonpop.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen