: Wer Weisheitszähne hat, ist 16
Noch gibt es keine Methode, um das Alter eines Asylbewerbers zuverlässig zu bestimmen. Die CDU setzt jetzt auf Faustregeln – und das Betrachten des Körpers
HAMBURG taz ■ Wenn sich etwas wissenschaftlich beweisen lässt, dann muss es wahr sein. So dachten die afghanischen Brüder Najib und Alidad, die ihr Alter mit Hilfe einer Handwurzelknochenuntersuchung belegen wollten. Denn von dem Befund hängt es ab, ob sie vorerst in Deutschland bleiben können. Najib ist zwar etwas größer als sein Bruder, mit seinen 15 Jahren jedoch der jüngere, sagt er.
Die Ausländerbehörde aber sieht das anders. Sie meint, dass die Brüder bereits volljährig seien. Nun pflichtete dem auch noch ein Radiologe bei: Dem Ergebnis seiner Untersuchung nach ist Najib 21 Jahre alt, sein Bruder ist 19.
Die Studie, die der Methode zugrunde liegt, stammt aus dem Jahr 1948: Damals stellten Heidelberger Mediziner fest, dass sich mit einem Röntgenbild des Handwurzelknochens das Alter eines Menschen erahnen lässt. Obwohl bereits in den Siebzigerjahren Mediziner Zweifel an der Studie äußerten, wird sie teilweise noch heute genutzt.
Beim Deutschen Ärztetag im Mai forderten Mediziner eine Änderung des Aufenthaltsgesetzes, das bisher die „Vornahme von Messungen und ähnlichen Maßnahmen“ zur Altersbestimmung erlaubt. „Asylbewerber kommen aus den verschiedensten ethnischen Hintergründen“, erklärt Winfried Kahlke von der Uniklinik Hamburg-Eppendorf. „Die unterschiedlichen Ernährungsgewohnheiten führen zu unterschiedlichem Tempo im Knochenwachstum. Die bisherigen Studien zur Handwurzelknochenuntersuchung lassen sich nur auf Mitteleuropäer anwenden.“
Während die CDU die Untersuchung noch vor vier Jahren für ein zuverlässiges Mittel zur Altersbestimmung hielt, schwenkt sie mittlerweile um. Sie empfiehlt nun ein sogenanntes medizinisch-anthropologisches Gutachten. Gemeint ist das Betrachten des Körpers. Wer Weisheitszähne hat, ist mindestens 16, lautet eine Faustregel. Wissenschaftlich ist diese Methode noch unzureichender als das Röntgenbild. In der Praxis werden laut Pro Asyl meist beide Verfahren angewendet, um das Alter eines Asylbewerbers einzuschätzen. JESSICA RICCO
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