: Die Marke Deutschland
Touristen lieben Souvenirs, zum Beispiel schönes Geschirr aus Mettlach. Tourismus und traditionsreiche Produkte in der schönen Landschaft – eine Erfolgsgeschichte
Geschirr, Glas, Kuckucksuhren, Teddybären oder Duftmarken – schöne Produkte aus Deutschland sind bei Fremden und Einheimischen gleichermaßen beliebt. Firmenmuseen preisen nicht nur das Produkt, sie sind auch ein Teil der Industriegeschichte vor Ort. Heute trägt die Verbindung von Tourismus und guter Ware nachhaltig zur Belebung von Regionen bei.
VON CHRISTEL BURGHOFF
Von einem Kloster erwartet man gemeinhin ein geistlich-geistiges Innenleben oder doch zumindest einen beschaulichen Kunst- oder Kulturgenuss. In Mettlach an der Saarschleife, einer ausgesprochen idyllischen und vielbesuchten landschaftlichen Attraktion, erwartet uns im örtlichen Kloster eine Keramikfabrik. Die große, hochherrschaftliche Benediktinerabtei, direkt am Fluss gelegen, ist der Stammsitz des Keramikherstellers Villeroy & Boch. Und das schon seit zwei Jahrhunderten, seit im Gefolge der Französischen Revolution die Mönche vertrieben und das gesamte Anwesen säkularisiert wurde. Der junge Jean-François Boch, Enkel des lothringischen Begründers der Keramikdynastie, kaufte die verkehrstechnisch günstig am Fluss gelegene Abtei 1809, um fürderhin im barocken Ambiente Steingutware herzustellen. Eine glänzende Idee, wie sich später herausstellen sollte.
Villeroy & Boch stellte uunter anderem die Bodenfliesen für den Kölner Dom her, arbeitete dem wachsenden Hygienebedarf der letzten 150 Jahre mit schönster Sanitärkeramik zu, setzte und setzt mit Geschirrdesign internationale Maßstäbe. Der Eindruck, dass barocke Pracht und Größe die Hersteller der weltberühmten Fliesen und Kacheln angenehm beeinflusst und zu fantastischen Entwürfen inspiriert haben, ist nicht ganz von der Hand zu weisen.
Der Genuss für Besucher von heute ist das firmeneigene Erlebnismuseum, das Villeroy & Boch in der historischen Abtei eingerichtet hat. Verteilt auf ausgedehnte Räumlichkeiten, erwartet uns Keramik aus aller Welt, es sind die wertvollen Stücke aus historischen Sammlungen und die vielfältigen Produkte aus der langen Ära des Keramikherstellers selbst. Mit dabei sind allerdings auch aktuelle Kollektionen, zentral platziert und lifestylegerecht nach „Stilwelten“ des modernen „Schönen Wohnens“ präsentiert. Es sind, anders gesagt, die perfekt gedeckten Tische, mal für drinnen, mal für draußen, mal klassisch oder trendig oder innovativ. Produkte der modernen Tischkultur, die Begehrlichkeiten wecken und dazu verführen, sich vielleicht als Gastgeber neu zu erfinden. Oder zumindest das Design von gestern zu ersetzen, das Tohuwabohu im Küchenschrank auf eine ansprechende Linie zu bringen. Hier dürfen potenzielle Kunden träumen. Und wer sich tatsächlich mit Gedanken für Neuanschaffungen trägt, kann sich die innere Haushaltsrevision im Museumscafé versüßen lassen.
Es ist die neueste Errungenschaft im Museumsbereich, eine stilistische Rekonstruktion des berühmten Dresdner Milchladens von 1892. Das Café ist ein architektonisches Juwel, es fasziniert mit opulenten Fliesengemälden. Rund eine Viertelmillion Besucher zählt Villeroy & Boch derzeit pro Jahr, darunter sind 80.000 zahlende Museumsbesucher. Wie etwa die vielen französischen Jugendlichen, die um uns herumwuseln, eine Schulklasse.
Man liegt im Dreiländereck Deutschland/Frankreich/Luxemburg. Ein Klacks für einen Tagesausflug von außerhalb der Grenzen. Aber auch von weiter her zieht es die Besucher, etwa wives clubs aus Prag oder Amsterdam, die geschlossen anreisen und sich Inspirationen einholen. Einschließlich Filmen und Firmeninformationen, etwa über das WWF-Engagement des Keramikherstellers, füllt das Museumsprogramm mindestens einen halben Tag.
Wer sich außerdem für Badezimmer interessiert, ist noch länger unterwegs. Immerhin: Villeroy & Boch war schon vor der Industrialisierung des Saarlandes hier und stellte Keramik her. Und heute, wo die Ära der Schwerindustrie wieder vorbei ist, die Schlote nicht mehr rauchen und das Saarland sein doch irgendwie ungeliebtes Image als reine Industriezone los ist, da produziert der Keramikriese immer noch. Ein erstaunliches Stück Industriegeschichte, früh geprägt von der Fusion mit dem ehemaligen Konkurrenten Villeroy und begleitet von den darauffolgenden familieninternen Fusionen, den Hochzeiten zwischen den beiden Familien. Noch heute engagieren sich Mitglieder der Unternehmerfamilien im modernen Konzern. Eine Geschichte, die in einer Multimediaschau vom unlängst verstorbenen Erzählgenie Sir Peter Unstinov einnehmend präsentiert wird.
Nur eines gibt es nicht in diesem Museum: Es gibt nichts zu kaufen. Was immer den Haushalt aufpeppen könnte – Fehlanzeige. Doch die alte Abtei mit ihrem Firmenmuseum ist nur die eine Seite der Mettlacher Wunderwelt. Die andere beginnt am Fluss, wo die Ausflugsschiffe ankern, und die Besucher der Saarschleife in die Altstadtgassen schlendern. In den Sommermonaten müsste man „drängeln“ sagen, denn dann ist der kleine Ort bestens besucht. Durch Mettlach führt der beliebte und stark befahrene Saar-Radwanderweg, der Ort liegt außerdem am Saarland-Rundwanderweg.
Und alle zieht es in die Outlets. Denn hier gibt es sie dann auch, die beliebten Produkte der Schöner-Wohnen-Welt. Nicht nur das Geschirr von Villeroy & Boch. Neben dem Zugpferd sind längst weitere Hersteller mit ihren Outlets in die kleinen Häuser der Altstadt eingezogen. Mit Namen wie Silit und Rösle (Haushaltswaren), Möve (Frottee), Laura Ashley, Bassetti, Zucchi und Lacoste (Heimtextilien) hat sich Mettlach für den Bereich Küche/Wohnen/Wellness positioniert. Aber auch Birkenstock ist mit den bequemen Schuhen vertreten und das US-Versandhaus Land’s End mit einem Ladengeschäft für Outdoorbekleidung. Ein echter Shopping-Anreiz für den sportiven Besucheranteil.
Mettlach hat sich ein touristisches Erfolgsmodell zusammengestellt aus Elementen, die nicht zusammenpassen: Nicht die Radler zum Geschirr, nicht Industrie zur Natur, nicht Wanderer zum Outlet. Oder vielleicht doch? Vielleicht ist die erstaunliche Konstellation auch ein Geheimrezept für moderne touristische Anziehungspunkte. Und alles begann mit einem Kloster.
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