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Erwachsene heranführen

Ob Märchen, Thriller oder klassische Dramenhelden: Die Berliner Puppenspielertruppe „Das Helmi“ findet für alles eine eigene Lösung, fällt über bekannte Vorlagen her und liebt das Absurde

VON DIRK HAGEN

Ist hier jemand auf LSD-Trip oder nur bedröhnt gewesen? Sieht man die „Puppen“ der Schauspieltruppe „Das Helmi“ an, scheint Rausch durchaus im Spiel. Zusammengetackerte Schaumstoffteile, Matratzenreste, dazu einige Lumpenfetzen, ein bisschen Farbe – aus mehr bestehen sich nicht. Und besetzen doch vorzüglich in kruder Version aufgearbeitete Storys wie zum Beispiel von „Leon der Profi“ nach dem gleichnamigen Film von Luc Besson oder auch nach klassischen Vorlagen wie „Ödipus“. Auch das Leben van Goghs haben sie schon erzählt. Die Puppenspieler-Combo aus dem Berliner Prenzlauer Berg hat so einen ganz eigenen Stil zwischen Trash, Naivität und guter unterhaltender Erzählung entwickelt. Und dafür im November auf dem Impulse-Festival in Nordrheinwestfalen ihren ersten Theaterpreis eingeheimst.

„Das Helmi“, benannt nach dem Helmholtz-Platz in Prenzlauer Berg, sind Florian und Felix Loycke, Brian Morrow und Emir Tebatebai. Die vier jungen Männer touren schon seit dem Jahrtausendwechsel als Geheimtipp durch die Kieze Berlins. Ohne jede finanzielle Unterstützung oder eine potente Spielstätte im Background wird hier reinstes Off-Theater gemacht. Schaut man „Puppenbauer“ Florian Loycke bei der Arbeit zu, wird dann auch schnell klar: Hier entstehen keine aufwendigen Bühnenfiguren und keine kunsthandwerklichen Niedlichkeiten. Herumliegender Müll und ein wenig Draht reichen da schon aus. Und wenn nach einer knappen halben Stunde alles fertig ist, scheint mit der Figur auch schon ihr leicht kratzbürstiger Charakter geboren. Geprobt wird vorwiegend im Wohnzimmer. Das Geld zum Leben wird vorwiegend aus anderen Quellen organisiert.

Überraschend ist die Präsenz der lumpigen Puppen auf der Bühne. Sie wirken lustig, schräg, aber genauso auch zerbrechlich, und damit offenbaren sie ein geheimes Wissen über die dargestellten, oft tragischen Charaktere. Bei allen Produktionen treten die Puppenspieler selber in sichtbare Aktion neben den Figuren. Sie unterstützen die Puppen aktiv mit eigener Mimik und Gestik. Die Vorlagen der Stücke werden dabei in das Heutige hineingeworfen. So ist ihr „Ödipus in der Fleetstreet“ ein Rapper, der den Aufstieg zum erfolgreichen Politiker vollzieht. Dass am Ende des Dramas all seine Mühen doch nur zum Scheitern verurteilt sind, bleibt dabei ständig präsent auf der Bühne.

Beim Kindertheater holten sich die vier „Helmis“ einst den Mut dafür, ihre trashig bis chaotischen Auftritte dann auch einem Erwachsenenpublikum zu präsentieren. Sind beim Kinderpublikum Spontanität und Müllpuppen gern gesehen, versteht ein Erwachsenenpublikum diese Stilmittel ja nicht immer. In der Vorweihnachtszeit geben sie fast jeden Tag zwei Vorstellungen für Kinder und manchmal abends für Erwachsene, hier in Berlin und in Hamburg.

Diesen November lud das 14. Festival Impulse, ein wichtiges Treffen von Freien Theatern, die besten Produktionen zum Schaulaufen ein. Darunter die vier „Helmis“, für die sich die künstlerische Leitung unter Tom Stromberg und Matthias von Hartz dann auch etwas ganz Besonderes ausgedacht hatte: In gerade einmal 11 Tagen zeigten die Puppenspieler 10 ihrer Produktionen. Insgesamt 16 Vorstellungen leisten sie in Bochum, Düsseldorf, Köln und Mühlheim ab. Ein wahrer Marathon.

Dass am Ende die Berliner einen der drei Preise mit nach Hause nehmen konnten, war dann aber doch eine Überraschung. Galten die vier Puppenspieler bei vielen Kritikern nicht gerade als Favoriten. Die Jury für eine künstlerische Einzelleistung zeichnete die Killerpuppe „Leon“ aus „Leon der Profi“ mit dem erstmals vergebenen und mit 2.500 Euro dotierten Dietmar-N.-Schmidt-Preis aus.

Dabei war es doch für die „Fetzentruppe“ schon etwas Besonderes, überhaupt dabei zu sein, so Florian Loycke. Und meint damit auch die vorhandenen Mittel der meisten Mitkonkurrenten. So steckte hinter einigen Produktionen der Off-Theatergruppen das Know-how schon recht bekannter Spielstätten nebst Fördertöpfen. „Der Preis hat dann Mut gemacht, solch ein Selbstausbeutungsprojekt weiterzumachen“ schließt Loycke dann rückblickend. So werden die vier Protagonisten uns hoffentlich auch noch in Zukunft beweisen, dass auch einfaches Theater einfach nur Spaß machen kann.

Für Erwachsene: 14. Dezember „Leon der Profi“ Ballhaus-Ost, 21 Uhr. Für Kinder „Hänsel und Gretel“, „Rotkäppchen“ und „Sieben Geißlein“: 14./15./16. Dezember Platzhaus Teutoburger Platz. Infos unter www.das-helmi.de

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