ausgehen und rumstehen: Arroganz und Verlorenheit
Die Finger sind aus Glas, die Rippen saugen die Haut ein, der Hintern ist ein milchigweißer Spitzmond und die Augen sind so nackt geradeaus, als wären die Lider wegoperiert. Einen kapriziöseren Körper gibt es nicht. Wenn Terence Koh sich in nichts als einen weißen Pelzmantel hüllt, ist er eine einzige zerbrechliche Herausforderung, eine kalt glimmende Fackel aus Arroganz und Verlorenheit. In diese Fackel stecken die ganze Zeit Muskelklötze ihre angewichsten Kolben.
Man muss sich das richtig vorstellen: Terence Koh hockt wächsern weiß auf allen Vieren im Laub zwischen Bäumen, von hinten dreht sich das vierschrötige Karussell und rastet seine Schwänze zwischen Kohs Arschbacken ein wie Zahnräder ins Kettenglied. Mechanisch und endlos. Wann kommt zwischen diesem Fickkarussel endlich der weiße Papst auf weißem Hengst oder die Abendmahlszene, von der so viel auf Terence Kohs Ausstellung in der Galerie „Perez Project“ vor ein paar Wochen geschwärmt wurde?
Man will aus unwillkürlichem Helferreflex einen Finger in Terence Kohs After stecken, als Samariterpfropfen, damit das impertinente Sodomieren ein Ende hat, verdammt noch mal. Am besten den Finger, dessen Nagel ich mir vor gut einem Tag am mobilen Schminktisch von „U.S. Nails“ bei der Vernissage zur Gruppenausstellung „Alt Rein Neu Raus“ in der Galerie Christian Nagel mit YSL-Lack im „American Style“ habe versilbern lassen.
Kuratorin Claudia Riedel konnte nicht ahnen, dass ich ihren Titel hier im Basso als Mantra zu Terence Kohs Schwarzweißfilm „GOD“ missbrauchen würde. Der Projektraum „Basso“ in der Köpenicker Straße von Yusuf Etiman zeigt eine Nacht lang die sechsstündige Fassung von „GOD“. Yusuf Etiman ist Grafiker, gibt das Basso-Magazin heraus, arbeitet für die Techno-Pilgerstätte „Berghain“, die sich zum übrigen Deutschland verhält wie der Vatikan zu Italien, und hat die Art-Direktion beim „Neue-Männer-Magazin“ Front übernommen. Front kommt leider über die Klischees, die der jüngelchenhafte Fransenpony seines Chefredakteurs Dirk Ludigs aufruft, nicht hinaus: mehr Schöneberger oldschool-schwul als post-metrosexuell. Aber Yusuf Etiman ist Schlesisches-Tor-Kreuzberger mit Bart und Bomberjacke und macht notwendige Arbeit: Er zeigt Filme von William Klein und Dario Argento, feiert die Veröffentlichung des „Butt“-Buches oder bittet die Transgender-Folk-Musikerin Baby Dee zum Konzert.
Ob er „GOD“ zeigen soll, hat ihm Bauchschmerzen bereitet. Terence Koh ist nämlich so schweinemäßig hip, dass es fast stinkt. Zusammen mit Dash Snow war er das sonnenbebrillte Centerfold-Doppel dieses Kunstherbstes. Im Zusammenhang der Ausstellung des frisch gebackenen Möbelbauers und Dior-Buben-Blogger Hedi Slimane hat die aalglatte Checker-Galerie „Arndt & Partner“ natürlich beide gleich mitausgestellt.
Ich bestelle mir am Basso-Tresen eine Club Mate und schütte eine Fingerspitze PCP in die Flasche. Das mache ich ganz offen, seitdem ich einen ziemlich filzigen Junkie auf dem U-Bahnhof Mendelssohn-Bartholdy-Park im vollen Glanz der Weihnachtsbeleuchtung seelenruhig sein Crack-Pfeifchen anschmauchen sah.
Nach zwanzig Minuten wiederholt sich zum ersten Mal eine Sequenz, man steckt im Déjà-vu fest und das Warten auf den weißen Papst auf weißem Hengst hält einen nicht mehr bei der Stange. So wenig wie der zarthäutige Hintern von Terence Koh, der sich immer wieder in den Zuschauerraum reckt. Ein Gedicht auf einen abgezogenen Hühnerarsch, denke ich schon viel ruppiger als noch vor einer viertel Stunde.
Ich spüre, wie das PCP zu wirken anfängt, meine Extremitäten vom Rumpf ablöst und den Kopf auch für eine Extremität hält. Die Stirnlappen flattern. Bevor der letzte Stecker gezogen wird, denke ich bei der nächsten wiederholten Sequenz: Die Porno- und Queer-Thematik in der Kunst wird so viel Nachhaltigkeit erzeugen wie das Modethema Klimaschutz in der Politik. Dann setze ich mich und warte darauf, dass meine Synapsen wieder einrasten wie Zahnräder ins Kettenglied. JAN JOSWIG
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