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„Keine Döntjes erzählen“

Es scheint, als hätten sie Angst vorm Volk: Seit Jahren beleidigen uns Pastöre durch schlichte bis naive Predigten, als wollten sie auch ja niemanden vergraulen. Dass dieses Prozedere keineswegs der Theologenausbildung entspricht, erklärt der Hamburger Universitätsprediger Hans-Martin Gutmann

HANS-MARTIN GUTMANN, 54, ist seit 2001 Professor für Praktische Theologie und Universitätsprediger an der Universität Hamburg.

INTERVIEW PETRA SCHELLEN

taz: Herr Gutmann, warum beginnt jede zweite Weihnachtspredigt mit Fragen wie „Sind Sie auch so gestresst?“ und „Haben Sie auch schon Plätzchen gebacken?“ Ist es nicht unwürdig, sich derart anzubiedern?

Hans-Martin Gutmann: Diese Beispiele entsprechen nicht dem, was wir in der Ausbildung lehren. Bei der Predigtlehre geht es darum, vier Dimensionen zu verbinden: die biblische Erzähltradition, die Situation der Zuhörenden, das allgemeine Lebensgefühl und das Ich des Predigers. Um diese Dinge zu verknüpfen, braucht der Prediger keine Döntjes aus seinem Leben zu erzählen. Denn mit dem „Ich des Predigers“ ist kein Referat über dessen Lebenssituation gemeint, sondern die Resonanz, die der Text in ihm erzeugt hat.

Sie räumen aber ein, dass solche extrem schlichten Predigtanfänge stark um sich gegriffen haben?

Ich finde das für die heutige Zeit nicht so typisch, sondern eher für die Ausbildungssituation in den Sechzigern und Siebzigern. Damals begann man – nach einer langen Phase des abgehobenen Predigens – den Prediger als Subjekt wieder zu entdecken. Da kam es schon manchmal zu Übertreibungen. Heute fühlen wir uns wieder stärker der biblischen Erzähltradition verpflichtet. Der Prediger soll die Verbindung herstellen zwischen dem göttlichen Versprechen bedingungsloser Liebe und der Lebenswirklichkeit der Leute.

Den Glauben muss der Zuhörer aber wohl schon mitbringen. Oder kann er den durch die Qualität der Predigt erringen?

Nach evangelischem Verständnis müssen die Leute den Glauben nicht mitbringen, sondern er entsteht durch das Lauschen auf die Verheißung. Das ist wie im Alltag: Wenn ich Ihnen etwas verspreche, müssen Sie mir auch nicht schon vorher glauben. Ich muss vielmehr auf eine Weise versprechen können, dass Sie mir Glauben schenken. Die große Krise der Kirchen liegt derzeit vor allem darin, dass die Leute nicht mehr – wie früher – automatisch dem vertrauen, was der Pastor sagt. Dieses Vertrauen muss heute der Gottesdienst ermöglichen durch die Art, wie er gefeiert wird.

Wenn die Kirchgänger heute weniger Vertrauen mitbringen, müsste Rhetorik für die Predigt wichtiger sein als je zuvor. Wird das in der Ausbildung berücksichtigt?

Natürlich. Denn eine Predigt hat immer auch eine rhetorische Dimension. Wichtig ist aber vor allem, unterscheiden zu lehren zwischen den Verheißungen der Wirtschaftsgesellschaft, die immer an Forderungen geknüpft sind, und der tragfähigen Verheißung der Religion, die von Ängsten und Verunsicherungen des Alltags befreien soll.

Aber ist es für Prediger von heute nicht eine Überforderung, das anhand der uralten Geschichten zu zeigen?

Wir haben keine anderen. Außerdem verstellt das Alter der Texte ja nicht den Blick dafür, dass Religion im Leben zu großen Erschütterungen führen kann.

Aber oft werden die Geschichten im Gottesdienst bloß nacherzählt. Wie wollen Sie etwa erklären, dass sich Gott in der Hiobsgeschichte nicht zu schade ist, mit Satan um Hiobs Seele zu wetten?

Ich würde in einer Predigt das Leiden fokussieren. Hiob ist ein erfolgreicher Mann, der auf die Probe gestellt wird: Glaubt er an Gott, weil es ihm gut geht, oder geht es ihm gut, weil er an Gott glaubt? Was passiert mit seinem Glauben, wenn es ihm schlecht geht? Was Satan betrifft, muss man wissen, dass der Text in einer Zeit entstand, in der sich die Israeliten ein Götterpantheon vorstellten, das aus Gott, dem himmlischen Hofstaat und Satan bestand. Letzterer ist in der Hiobsgeschichte eine Art himmlischer Staatsanwalt.

A propos Pantheon: Ermutigen Sie die künftigen Pastoren, in ihrer Predigt auch den historischen Kontext zu erklären?

In der Predigt geht es nicht primär um historische Mitteilungen, sondern eher um die Frage: Wie kann das, was für diese Menschen vor 2.000 Jahren eine so wichtige Gotteserfahrung war, für Menschen von heute wieder zum Ereignis werden? Es geht ja nicht um eine historische Vorlesung, sondern darum, Kontakt zu den Leuten herzustellen. Das Problem ist eher, dass die historischen Fakten die Ausbildung lange dominiert haben, dass sich das nicht mehr allgemein verständlich vermitteln ließ. Das Ergebnis waren Pastoren, die predigten, als hätten sie Konfirmanden oder einen Kindergarten vor sich.

Was wäre für Sie denn ein gelungener Einstieg in eine Weihnachtspredigt?

Ich würde über die Sehnsucht der Menschen nach einem heilen, intakten Leben sprechen. Denn Dinge wie der Geschenketausch und die Sehnsucht nach leuchtenden Kinderaugen treffen ein tiefes menschliches Bedürfnis. Und die Bibel drückt diese Sehnsucht, dass alle gleich sein mögen und dass Gott eben nicht als Kaiser, sondern als bettelarmes Kind geboren wird, in der Weihnachtsgeschichte aus.

„Wo Anbiederung im Spiel ist, weil man inhaltlich nichts mehr zu sagen hat, spüren das die Anwesenden sofort.“

Gibt es denn verschiedene Predigtvarianten für U-Boot-Christen und für die, die jede Woche kommen? Die haben ja einen sehr verschiedenen Kenntnisstand.

Für kirchenfernere Menschen gibt es besondere Angebote: zum Beispiel eine Mittagskirche mit Kanzelrede nach dem normalen Gottesdienst – oder die auch in Hamburg praktizierten Thomasmessen. Die richten sich – daher der Namenspatron – an die Menschen, die erstmal schauen wollen, was es mit Kirche auf sich hat. Darüber hinaus gibt es Gottesdienste, die alle ansprechen sollen. Als Universitätsprediger an der Hamburger Katharinenkirche betreue ich regelmäßig Abendgottesdienste, an denen auch Jazzmusiker mitwirken. Außerdem gibt es gestische Szenen oder andere Inszenierungen – und natürlich die Predigt.

Ist eine solche Inszenierung nicht ein unlauteres Mittel?

Nein. Jeder Gottesdienst, jedes Theaterstück, jeder Film ist eine Inszenierung. Dabei geht es immer um eine gelungene Gestaltung dieses Ereignisses.

Kann es denn angesichts der Kirchenflucht eine Lösung sein, moderne Musik hineinzunehmen, wie es alle tun? Das ist Mainstream!

Das wäre in der Tat eine missratene Form. Wo Anbiederung im Spiel ist, wo man diese Elemente braucht, weil man inhaltlich nichts mehr zu sagen hat, spüren das die Anwesenden allerdings sofort. Wie im schlechten Film.

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