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So war das Jahr, das wird

Beinahe Schwarz-Grün, neue Trainer bei St. Pauli und HSV – wenn sich der Rauch gelichtet hat, wird sich zeigen, dass der vorausschauende Jahresrückblick der taz ganz schief nicht gelegen hat

Dienstag, 1. Januar 2008:

Beim Neujahrsempfang des Bürgermeisters drängen sich Tausende vor dem Rathaus. Alles ist wie immer, nur die Aschenbecher fehlen, wegen des seit Mitternacht geltenden „Passivraucherschutzgesetzes“. Nach dem Neujahrsempfang sammelt die Stadtreinigung 19,2 Tonnen Kippen auf dem Rathausmarkt ein.

Montag, 7. Januar:

HSV-Star Rafael van der Vaart erklärt, im Sommer für 50 Millionen Euro zum FC Gibraltar zu wechseln, dem neuen Spielzeug des russischen Ölmilliardärs Roman Abramowitsch, der keine Lust mehr auf den FC Chelsea hat. Mit dem Geld bedient sich der HSV in der Konkursmasse der Londoner: Michael Ballack und Didier Drogba kommen.

Mittwoch, 23. Januar:

Bei der ersten Bürgerschaftssitzung wird der Raucherraum der CDU von Bürgerschaftspräsident Berndt Röder, Vizepräsidentin Bettina Bliebenich, Fraktionschef Bernd Reinert, Fraktionsgeschäftsführer Hans-Detlef Roock und Umweltpolitiker Hartmut Engels offiziell in Betrieb genommen. Mit einer selbst erteilten Ausnahmegenehmigung hat sich die Mehrheitsfraktion in Raum 160 weiterhin das Qualmen erlaubt, direkt neben den Büros der GAL. Die Grünen protestieren auf dem Flur mit Atemmasken und dem Transparent: „Wir husten auf Schwarz-Grün.“

Sonntag, 27. Januar:

Bei der Zeit-Matinee mit Michael Naumann und Altkanzler Helmut Schmidt barzt jener wie gewohnt eine nach der anderen. Auf die Frage aus dem Publikum, ob er über dem Gesetz stehe, präsentiert Schmidt ein ärztliches Attest. Danach schützen seine Menthol-Zigaretten vor Erkältung.

Sonntag, 24. Februar:

Bei der Bürgerschaftswahl verliert die CDU die absolute Mehrheit, die Linkspartei zieht mit acht Sitzen ins Parlament ein. SPD (43) und GAL (17) fehlt eine einzige Stimme zur Mehrheit.

Dienstag, 26. Februar:

CDU und GAL nehmen Koalitionsverhandlungen auf, nachdem die CDU zugesichert hat, nach einer schwarz-grünen Senatsbildung auf ihr Raucherzimmer zu verzichten.

Montag, 3. März:

Die Atomkraftwerke Brunsbüttel und Krümmel gehen nach neun Monaten Stillstand wieder ans Netz.

Dienstag, 18. März:

Völlig unerwartet erklärt Joachim Lux, er werde doch nicht die Intendanz am Thalia-Theater übernehmen. Nur 24 Stunden später präsentiert die unter Druck geratene Kultursenatorin Karin von Welck den Sensationsnachfolger: Corny Littmann wird das Haus übernehmen – und zwar sofort. „Wir wollten eine Hamburger Lösung“, begründet sie die Wahl. Littmann kündigt an, das Thalia werde unter seiner Intendanz eine „neue Südtribüne erhalten“. Die Präsidentschaft des FC St. Pauli gibt er ab. Sein Nachfolger wird Team- und Sportchef Holger Stanislawski. „Ich wollte schon immer mein eigener Chef sein“, sagt „Stani“.

Donnerstag, 27. März:

Die Bauarbeiten an der Elbphilharmonie werden gestoppt. Grund ist die akute Einsturzgefahr des so genannten Sockels. Der, bestehend aus dem völlig entkernten „Kaispeicher A“, hatte sich trotz gegenteiliger Behauptungen der Ingenieure als nicht tragfähig erwiesen.

Sonntag, 30 März:

Der HSV präsentiert Jürgen Klinsmann als Nachfolger von Trainer Huub Stevens. Sein Ziel ist klar: „Wir wollen Meischter werden, da geht sonscht nix.“

Mittwoch, 16. April:

Die Wahl des ersten schwarz-grünen Senats scheitert in der Bürgerschaft. Zehn CDUler fehlen bei der Abstimmung, die Mehrheit ist hin. Sie werden am Abend aus dem Raucherraum befreit, dessen Tür mit Sekundenkleber verschlossen war. Als Letzter hatte SPD-Raucher Thomas Böwer, der dort gelegentlich Asyl fand, den Raum verlassen. Er weist jeden Verdacht von sich.

Samstag, 19. April:

Die GAL lässt eine Zukunft mit der Union platzen: „Wer zu doof ist, eine Tür zu öffnen, kann auch keinen Senat bilden, logischerweise“, sagt Christa Goetsch über die CDU. Die SPD wählt Böwer zum neuen Spitzenmann.

Sonntag, 20. April:

Ole von Beust erklärt seinen Rückzug aus der Politik: „Das Gesabbel muss ich mir nicht antun.“ Er übersiedelt nach Sylt.

Mittwoch, 7. Mai:

Das Atomkraftwerk Brunsbüttel wird nach einem Kurzschluss stillgelegt. Mehrmonatige Reparaturarbeiten folgen.

Sonntag, 18. Mai:

Der FC. St. Pauli verdrängt Mainz 05 mit einem überraschenden 6 : 0-Auswärtserfolg vom dritten Tabellenplatz und steigt in die Bundesliga auf. Fünf Tore schießt Achmet Kuru, eines steuert Holger Stanislawski bei, der sich zuvor selbst reaktiviert hat. Noch in der Nacht des Triumphs verpflichtet der Torschütze als Teamchef, Sportchef und Präsident des Vereins den geknickten Mainzer Coach Jürgen Klopp als neuen Trainer. „Kloppo“ lotst den beim HSV nur noch in der sechsten Amateurmannschaft aktiven Mohamed Zidan ans Millerntor.

Freitag, 23. Mai:

Peter Tamm verschenkt den Kaispeicher B an die Heilsarmee. Anstelle des „Internationalen Maritimen Museums“ soll dort jetzt ein Begegnungszentrum für Ältere und Musikanten entstehen. Er freue sich sehr, das Haus einem guten Zweck zuführen können, sagt Tamm. Vorausgegangen waren monatelange Irritationen um den Eröffnungszeitpunkt, die schließlich in das Eingeständnis gemündet waren, dass Tamm einfach nicht genug Schiffsmodelle besitze, um den Bau zu füllen.

Sonntag, 15. Juni:

Bei den Neuwahlen zur Bürgerschaft wird die Ole-freie Union mit 7,2 Prozent viertstärkste Fraktion im Rathaus hinter Grünen und Linken. Böwers Sozialdemokraten scheitern mit 62,5 Prozent nur knapp an der Zweidrittelmehrheit.

Freitag, 27. Juni:

Das Atomkraftwerk Krümmel muss nach einem Kurzschluss vom Netz genommen werden. Mehrmonatige Reparaturarbeiten folgen.

Dienstag, 5. August:

Der Senat entscheidet sich für den Bau der Living Bridge. Dem Architekten Hadi Teherani und dem Investor Dieter Becken ist das Projekt doch zu riskant. Wegen der Euphorie, die der geplante Bau in der Stadt ausgelöst habe, will es der Senat „zu einem großen Teil“ über Spenden finanzieren. Als Großspender bietet sich das Ehepaar Helmut und Hannelore Greve an. Weil die Baulöwen die Ehrenbürgerschaft bereits besitzen, schlägt Bürgermeister Böwer die Einführung eines Titels „Herzog und Herzogin von Hamburg“ vor. Mit Ausnahme der Linken stimmen alle Fraktionen in der Bürgerschaft zähneknirschend zu.

Dienstag, 19. August:

Der Senat beschließt, dem Ehepaar Greve das frei werdende Spiegel-Grundstück an der Willy-Brandt-Straße anhand zu geben. Der denkmalgeschützte Bau müsse leider abgerissen werden, da es ökonomisch unzumutbar sei, den 60er-Jahre-Bau auf den Stand der Technik zu bringen.

Montag, 6. Oktober:

Bei den Abrissarbeiten des „Radio-Hamburg“-Hauses neben der Petri-Kirche wird die Hammaburg gefunden. Fundstücke aus der historischen Wallanlage zeigen, dass die Burg mitnichten von den Wikingern zerstört wurde. Im Gegenteil: Die Wikinger bauten und bewohnten die Burg. Die Urkunde in der die Hammaburg als Bischofssitz erwähnt wurde ist eine Fälschung des Heiligen St. Ansgar, der unbedingt Karriere machen wollte. Die Fachwelt ist erschüttert. Hamburg verlässt den Bund und tritt Dänemark bei. In Altona werden Freudenfeste gefeiert.

Marco Carini, Gernot Knödler, Petra Schellen, Sven-Michael Veit

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