: Ein sehr katholischer Krimi
Laut Anzeige steht das Inventar einer Kirche in Mönchengladbach-Rheydt zum Verkauf – wegen mangelnder „Auslastung“. Klingt logisch, ist aber rätselhaft: Die Kirche hat damit nichts zu tun
VON LUTZ DEBUS
Milde lächelt der heilige Antonius von seinem Sockel. Unter ihm leuchtet ein Meer brennender Kerzen. Er hat gut lächeln. Ist er doch Statue und weiß nichts von dem Ungemach, das ihm vor einigen Tagen angedroht wurde. Unbekannte hatten an das Portal der Kirche Sankt Marien in Mönchengladbach-Rheydt ein Plakat geklebt. Im Stil einer Postwurfsendung eines Billigdiscounters war das Pamphlet verfasst. „Wir schließen zum 31. 12. 2007!“ Der Text war nicht nur auf etlichen Plakaten in der Stadt zu lesen. Unbekannte hatten entsprechende Zettel auch in viele Briefkästen gesteckt.
„Das ist kein Dummer-Jungen-Streich!“, sagt der 52-jährige Pfarrer von Sankt Marien, Klaus Hurtz. Zum einen habe man auf dem Werbeplakat eine falsche Telefonnummer angegeben. Wer jene Nummer wählt, erreiche nicht die Kirchengemeinde, sondern einen Frauenorden. Ähnlich ärgerlich wie die falsche Nummer ist für Hurtz eine Formulierung im Text: „Es sind 1.240 geweihte Hostien erhältlich.“ Dieses Angebot trifft tatsächlich den Kern christlichen Glaubens. Eines der sieben Sakramente ist die Eucharistie. Während des Abendmahles verwandelt sich nach katholischer Lehre das Brot in das Fleisch Jesu. Würde tatsächlich die Kirche geweihte Hostien verkaufen, so würde sie letztlich den Heiland verkaufen. Deshalb erfüllen die Worte des Werbeplakates für Pfarrer Hurtz den Straftatbestand der Beleidigung einer Religionsgemeinschaft. So habe er Anzeige gegen unbekannt erstattet. Bis zu drei Jahre Haft drohen dem Täter.
Mit ihrer Aktion haben die Unbekannten ein weiteres sensibles Thema berührt. „Natürlich schließen wir nicht unsere größte Kirche in Rheydt“, erklärt Pfarrer Hurtz. Das Gotteshaus sei gut besucht. Doch könne das Bistum Aachen nicht alle seine Kirchen erhalten. Wenn ein Gotteshaus nicht mehr mit geistigem Leben erfüllt sei, müsse man sich von ihm trennen: „Nur durchbetete Kirchen haben eine Zukunft.“
Unlängst sei die evangelische Friedenskirche in Rheydt in ein Wohnhaus umgebaut worden. Aber auch katholische Kirchen seien von der Schließung bedroht. Pfarrer Hurtz versucht, dies zu erklären: „Man kann eine Ein- und Ausatmung der Kirche beobachten. Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg waren die Kirchen voll.“ In jener Zeit seien mehr Kirchen neu gebaut worden, als bereits da gewesen waren. Vielleicht zu viele? „Man wollte kurze Wege zur Kirche.“ Jeder Stadtteil habe ein Gotteshaus bekommen. In den letzten Jahrzehnten sei allein schon durch die demografische Entwicklung ein starker Rückgang an Kirchenbesuchern und Kirchensteuerzahlern zu verzeichnen gewesen. „Natürlich, jede Kirche, die wir schließen, ist ein schlimmer Verlust“, erklärt Hurtz. Die Kirche sei mehr als nur ein Gebäude, auch mehr als ein Discounter an der Ecke. Bei diesem Satz schaut der Pfarrer noch einmal auf das ihn provozierende Blatt, das vor ihm auf seinem Schreibtisch liegt.
„Taufe, Heirat, Beerdigung, viele Menschen verbinden die entscheidenden Ereignisse ihres Lebens mit ihrer Kirche.“ So können Menschen auch daran zerbrechen, wenn solch ein Raum säkularisiert werde.
Ob der Täter ein von der Kirche Enttäuschter ist? Spekulationen fallen dem Pfarrer schwer. Es sei schon seltsam, dass auf dem Plakat theologische Fachbegriffe verwendet wurden, die nur Experten verstehen. Exegese, Konkomitanz, Deuteronomium, Ziborium … Daraus aber zu schließen, dass der Täter christlicher Fundamentalist sei und die Amtskirche wegen ihrer marktwirtschaftlichen Ausrichtung kritisieren wolle, hält Hurtz für abwegig. In solchen Kreisen werde das Mittel der Satire nicht benutzt.
Der Küster von Sankt Marien begrüßt die Besucher, die sich an dem kalten Dezembernachmittag zur inneren Einkehr in der Kirche einfinden, mit Handschlag. Eine ältere Dame umarmt er, so dass deren Absätze kurz vom Boden abheben. Der Mann aus Oberschlesien erklärt mit lauter Stimme jede Einzelheit des Hauses. Aus welchen Jahrhundert die Säulen stammen, was nach dem Krieg wieder aufgebaut wurde. Es scheint fast, als sei Sankt Marien seine Kirche. Umso mehr haben ihn vor wenigen Wochen die Worte eines Passanten beleidigt. Der Küster berichtet, wie er gerade die schweren Beschläge des Kirchenportals polierte, als ein Mann mit weißem Vollbart und gehäkelter Kopfbedeckung ihn ansprach. „Das Putzen lohnt sich doch nicht mehr. In zehn Jahren steht hier sowieso eine Moschee“, habe jener Mann zu ihm gesagt. Glaubt deshalb der Küster an eine Aktion radikaler Muslime? Der Kirchenangestellte macht ein verschwörerisch wirkendes Gesicht und nickt fast unmerklich mit dem Kopf.
Eine ältere Kirchenbesucherin vermutet den Täter ganz woanders. „Das war doch von den Kirchenoberen fast so geplant“, flüstert sie. Bevor der Pfarrer Hurtz für Sankt Marien zuständig war, wollte man das Kirchenschiff halbieren. In der einen Hälfte sollten Büroräume für die sozialen Aufgaben der Gemeinde entstehen. Wegen mangelnder Auslastung, hieß es damals. Und genau diese Formulierung findet sich nun auf dem Plakat. Der ehemalige Pastoralreferent der Gemeinde habe das damals betrieben. Der könne bestimmt mehr zu möglichen Kirchenschließungen erzählen. Mit schnellen Bewegungen bekreuzigt sich die Frau, läuft rasch in Richtung Ausgang.
Pastoralreferent Wolfgang Funke, inzwischen in der Nachbargemeinde tätig, glaubt nicht an eine Provokation enttäuschter Christen. „Die Pläne zum Kirchenumbau wurden ja nie umgesetzt“, erklärt Funke. Seiner Meinung nach waren die Täter Jugendliche, die ein paar Bier zu viel getrunken haben.
So bleibt bis heute im Dunkeln, wer das Innenleben der Pfarrkirche Sankt Marien gern verkaufen würde. Militante Moslems? Militante Christen? Dumme Jungs? Oder vielleicht doch böse Atheisten?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen