piwik no script img

„Schamanen erzählen schmutzige Witze“

KLAR Der Hamburger Ethnopharmakologe Christian Rätsch über Rausch, Religion und Guttenbergs Dröhnung

Christian Rätsch

■ Leben: Jahrgang 1957, geboren und aufgewachsen in Hamburg, Stadtteil Berne – dort lebt er noch heute. Verheiratet mit der Kunsthistorikerin Claudia Müller-Ebeling, keine Kinder, nicht religiös, bekennend freigeistig.

■ Ausbildung: Studium der Altamerikanistik, Ethnologie und Volkskunde an der Universität Hamburg.

■ Dissertation: Die Zaubersprüche und Beschwörungsformeln der Lacandon-Indianer, einem Maya-Volk in Chiapas, Mexiko.

■ Außerdem: Feldforschung im Himalaja. Rätsch war Beiratsmitglied des Europäischen Collegiums für Bewusstseinsstudien (ECBS) und Präsident der Arbeitsgemeinschaft für Ethnomedizin (Argem).

■ Standardwerk: Enzyklopädie der psychoaktiven Pflanzen: Botanik, Ethnopharmakologie und Anwendungen, AT Verlag, Aarau 2007 (9. Auflage).

■ Expertise: Schamanismus in aller Welt – und ein erfrischender, deutlicher Abstand zu Esoterischem.

VON JAN FEDDERSEN UND MARTIN REICHERT

Christian Rätsch lebt in Hamburg-Berne – am Rande des metropolen Geschehens, eher dörflich. Hier soll einer leben, der die Hippiezeiten noch gut kennt? Ein Drogenpapst in diesem Klinkergebirge? Als er die Tür öffnet, quillt schöner Duft aus der Wohnung. Patchouli? Myhrre? Kräuterhaftes? Gut riecht es, heimelig. Er gibt die Hand, sagt „Guten Tag“, guckt absolut unzugedröhnt – und lädt an den adventlich gedeckten Tisch, eine Kerze brennt. Gereicht wird die Droge Koffein. Wir sind, dem Thema angemessen, ohne holpriges Gefrage ums Sie gleich per du.

sonntaz: Christian, wir haben gelesen, du hältst sogar vor Jesuiten, Ärzten und Apothekern Vorträge?

Christian Rätsch: Es gibt zum Glück noch Leute, die die Schnauze voll haben von dem Bösen, das von Kirche und Staat als solches definiert und mit Verordnungen behindert wird. Diese Bevormundungstendenz in unserer Welt ist erschreckend.

Du meinst diese wachsende Prohibition – Rauchen überall verboten, Alkohol immer stärker auf dem Index …

Und bald kommt es dazu, dass du dir keinen runterholen darfst, ohne Angst zu haben, ein Stück der Wirbelsäule einzubüßen.

Woran liegt das?

Ich vermute, dass man keine zufriedenen Menschen haben möchte, solche, die anfangen, eigene Gedanken zu formulieren und nicht mehr alles glauben, was Staat und Kirche ihnen vorschreiben. In Wirklichkeit sind ja gar keine sogenannten Drogen verboten, sondern veränderte Bewusstseinszustände. Leute, die gute LSD-Erfahrungen gemacht haben, die glauben nicht mehr, was die Regierung sagt.

Aber die offizielle Begründung ist ja eine andere: Drogen machen abhängig, zerstören die Psyche.

Diejenigen, die die Gesetze machen, haben überhaupt keine Ahnung. Wir haben das ja gesehen, als es um diese Fragestellung Cannabis im Straßenverkehr ging. Da gab es drei universitäre Studien über den Einfluss auf das Fahrverhalten. Und alle kamen zu dem Schluss, dass Kiffer sicherer fahren.

Was wir so hören, stimmt das?

Sind also diese Verbote nicht lächerlich? Entweder werden diese Studien anerkannt …

Wer verhindert das denn?

Die verwaltenden Institutionen des Staatsapparats.

Einzelne Politiker?

Nein, das ist eine Frage des Systems. Als der frühere Bundesrichter und jetzige Linkenpolitiker Wolfgang Neskovich ein Recht auf Rausch proklamierte und dann die SPD und die Grünen an die Regierung kamen, hätte man die Gesetze ja ändern können. Aber selbst die Grünen meinten, nein, das gehe nicht. An den Strukturen vorbei könne man nichts ändern. Alles ist ein unglaublich zähflüssiger Strom, der an allem am liebsten hängen bleibt, was schon immer gedacht und gesagt wurde.

Wundert dich das?

Ehrlich gesagt wundere ich mich nur, dass Kokain nicht erlaubt ist, das ist nämlich die ideale Droge für Leistungssteigerung – und wir leben doch in einer Leistungsgesellschaft. Wenn schon Kaffee erlaubt ist – aber pharmakologisch ist der viel schädlicher als Kokain. Wobei ich von reinem Kokain spreche.

Die bürgerliche Welt will keinen Rausch, deswegen werden Drogen so klein gehalten?

Nee, stimmt so nicht. Die kennt sehr wohl und will den Rausch. Und der wird ja auch gefördert, eben der mittels Alkohol. Bei dem ist es aber so, dass die meisten Menschen, die ja gar keine anderen Substanzen kennen aus eigener Erfahrung, glauben, dass alles andere so ähnlich wirkt wie Alkohol, nur schlimmer. Deswegen müsse es verboten sein.

Aber die Schädlichkeit …

… es geht gar nicht darum, ob irgendetwas nun schädlich ist oder nicht. Man will einfach nicht, dass Leute mit ihrem eigenen Bewusstsein experimentieren – sodass sie obrigkeitsfeindliche Ideen bekommen.

Ist es nicht eher so, dass die meisten Menschen sich einfach nur mal beruhigen, zudröhnen oder betäuben wollen?

Also ich vermute, dass die meisten Alkohol benutzen, um dieses grauenhafte Leben als Arbeiter vorübergehend zu vergessen und zu ertragen. Und das ist erwünscht! Die besten acht Stunden am Tag soll man für jemand anderes arbeiten? Wie man auf so eine groteske Idee wie eine Vierzigstundenwoche kommen kann, verstehe ich nicht.

Kanzlerin Merkel meinte, mit Alkohol können Menschen umgehen, mit Haschisch nicht – deshalb die Verbote.

Eine komische Vorstellung. Man muss wirklich gehirnlos sein, um so was in der heutigen Zeit als Spruch zu produzieren. Es sind neben den Piraten nur noch die Linken, die etwas zur Marihuana-Legalisierung im Programm haben, nicht mehr die Grünen. Die Linken haben deshalb auch so viele Stimmen gekriegt.

Dabei kiffen heute irgendwie alle, oder?

Natürlich, so sehe ich das auch. Aber die Art des Kiffens ist ganz anders als früher zu Hippiezeiten. Ich hatte ja glücklicherweise meine Pubertät, als es mit den Hippies hier auch schwer losging. Kiffen, das war mit spirituellen Erfahrungen verbunden, mit vertieftem Musikgenuss, mit Gemeinsamkeit. Heute geht es eher darum, sich wegzuballern.

Marihuana wird also genutzt wie Alkohol?

Vermutlich, ja. Wenn ich mir Beschreibungen von Jugendlichen anhöre, wie ihre Partys ablaufen, finde ich das grauenhaft. Alle sitzen da mit ihren Handys, und einige ballern einen Bong nach dem nächsten, bis sie nichts mehr merken. Keiner redet miteinander, und niemand weiß, was eine Party eigentlich ist.

Jetzt klingt du wie ein Vater, der mit den Kindern nicht zufrieden ist.

Nein, so will ich nicht gehört werden. Zu früher, das ist doch der Punkt, gibt es eben durchaus einschneidende kulturelle Unterschiede. Heute ist es eben, wie es ist.

Sprechen wir noch ein wenig übers Zudröhnen im Hier und Jetzt. Glaubst du eigentlich, dass Karl-Theodor von und zu Guttenberg Drogen nimmt?

Der Hochstapler? Der wird sich auf jeden Fall an den Neurotransmittern seines eigenen Nervensystems berauschen, weil so ein Bilderbuchnarziss nur existieren kann, indem sein Nervensystem ihn mit Selbstbeweihräucherung versorgt. Bei dem wäre es egal, ob der was nimmt; dem könnte man LSD geben und er würde genauso bescheuert sein wie vorher. Ich bin sicher, dass der alles Mögliche ausprobiert hat, weil allein von seinem Alter her müsste das eigentlich der Fall sein. Und er scheint ja Deep Purple zu lieben.

Was würdest du einem wie Guttenberg, sagen wir aus väterlicher Perspektive, raten?

Eigentlich habe ich ihm nichts zu raten, aber sei’s drum: Ich würde sagen: Junge, geh mal allein in den Wald, guck dir die Bäume an, und wenn du einen sympathisch findest, setz dich an den Stamm und bleib da vier Stunden sitzen. Und ich bin sicher, das würde die Hölle für ihn bedeuten. Vier Stunden unabgelenkt in der Natur sitzen, wo alle Gedanken quellen können …

Wir dachten, du hättest einen Tipp, dort einen bestimmten Pilz zu genießen …

Nee, der soll bloß die Finger von Pilzen lassen, und der soll auch kein LSD nehmen, der soll überhaupt nichts nehmen. Weil dann seine latente Psychose ausbrechen könnte. (lacht)

Ist das ein freundlicher Rat?

Ich meine das sehr ernst mit dieser Empfehlung, in den Wald zu gehen, vier Stunden am Baum zu sitzen. Das schaffen kaum Leute, die jahrelange Meditationspraktiken gelernt haben. Das ist eine ganz simple schamanische Technik. Es geht darum, die Ursachen des eigenen Leidens zu erkennen. Ein Schamane wird einem nie etwas vorschreiben: Sie sagen nur, bleib die nächsten vier Stunden hier im Kreis und lauf nicht weg, das würde stören. Sie sagen nicht: Also es gibt irgendwelche erzürnten Gottheiten oder dies und das. Das aktuelle Verhalten wird benannt, und dann kann man mithilfe einer psychoaktiven Pflanzenzubereitung auf Erkundungsfahrt gehen in sich selbst und außerhalb seiner selbst.

Das klingt wie Psychoanalyse, nur mit psychoaktiven Substanzen.

Sich auf einen solchen Trip einzulassen geht nur freiwillig. Leuten, denen irgendwie was in den Tee getan wurde oder die aus Versehen ein Haschischplätzchen auf ’ner Party gegessen haben, ohne dass sie das wissen, tut man Gewalt an.

Was empfiehlst du Eltern im Hinblick auf deren Kinder?

Tja, wie sag ich’s meinem Kinde? Man sollte die Kinder aufklären, etwa: Du wirst jetzt sicherlich irgendwann damit in Berührung kommen, wir können dir das und das dazu sagen. Wir bieten dir auch an, das mit dir mal zu machen, damit du das nicht in irgendwelchen komischen Situationen erlebst.

Der Joint – ein Familienfreund?

Ich kenne viele, die das gemacht haben, und die waren auch ganz zufrieden mit dem Ergebnis. Nur, es gibt ja immer noch bei Jugendlichen dieses Auflehnbedürfnis. In unserer Kultur wird ja kolportiert, dass Jungs in der Pubertät irgendwie schwierig sind und den Eltern Probleme machen. Ich brauchte mich nie gegen meine Eltern auflehnen.

War nicht nötig?

Ich war kein typisches Kind. Ich habe nur Fachliteratur gelesen über Bereiche, die mich interessiert haben, vor allen Dingen über Paläontologie und Paläanthropologie – nie Kinderbücher. Vorher als Kleinkind kannte ich natürlich Kinderbücher, und einige haben mich auch sehr beeinflusst, zum Beispiel „Mecki und seine Freunde“.

Diese Geschichten erschienen zunächst in der Illustrierten HörZu, oder?

Ja, so ist es. Mecki jedenfalls ist ja eigentlich Ethnologe, und ich hab mir alle Bücher nachgekauft, als ich erwachsen war, und festgestellt: In fast allen Bänden geht es irgendwann einmal darum, dass Mecki eine fremdartige Droge probiert.

Mecki – ein Pionier des Psychoaktiven?

Mecki raucht Fliegenpilze. Und bei der Reise zum Mond auf den Mohnkapseln, da raucht er Opium. Das hat mich vielleicht mit stimuliert, als Ethnologe die ganze Welt nach solchen Dingen abzusuchen.

Du hast dort viele Schamanen angetroffen. Hierzulande unter Esoterikern heißt es, Schamanen verachteten Fleisch und seien Vegetarier.

Echte Schamanen, also nicht solche, die mal am Wochenende einen Trommelkurs besucht haben, essen Fleisch. Die Vorstellungen über Schamanen, die so in dieser New-Age-, Eso-, neospirituellen Szene vorherrschen, sind verheerend und haben mit echten Schamanen nichts zu tun. Alle echten Schamanen und Schamaninnen, die ich in den letzten dreißig Jahren in der ganzen Welt traf, haben liebend gern Fleisch gegessen. Keiner von denen hat sich für Astrologie oder für Tarot interessiert. Alle haben sie sogenannte schmutzige Witze gemacht. Und alle rauchen.

Hast du etwas gegen Vegetarier?

Nein, nur möchte ich mich nicht rechtfertigen dafür, dass ich gern Fleisch essen. Für mich ist es inkonsequent zu sagen: Tiere haben eine Seele, aber Pflanzen nicht. Wenn schon, würde ich sagen, haben auch Pflanzen eine Seele. Aber ich esse beides gern, Fleisch und Pflanzen. Mir leuchtet auch nicht ein, warum die einen Schwein und Rind ablehnen, aber Fische essen – obwohl die auch Augen haben.

Womöglich sind das neoreligiöse Speisevorschriften. Ist der Schamanismus etwas Religiöses?

Schamanismus beruht auf Erfahrung. Eine Religion beruht auf Glauben.

Du bist aber nicht religiös geprägt worden?

Überhaupt nicht, ich bin völlig freigeistig-heidnisch erzogen. Die ersten Erfahrungen christlicher Berührung waren dann die katholischen Mädchen, die nicht wollten.

Was?

Fummeln. Das fand ich zu skurril, dass es attraktive Mädchen gab, die keinen Sex wollten. Und ich hab gefragt: Ja, warum denn nicht? – Ja, das ist Sünde, sagten die. Ich wusste nicht, was das sein soll: Sünde.

Hast du einen Fernseher?

Na klar. Ich liebe Fernsehen.

Aktuell gibt es eine wunderbare Serie namens „Breaking Bad“.

Kenne ich nicht.

Ein Chemielehrer wird in Arizona zum Chrystal-Meth-Koch.

Klingt interessant – wenn es auf Arte läuft, gucke ich das mal.

Da ist viel von Chemie die Rede – hört bei dir der psychoaktive Spaß auf, wenn es um künstliche Drogen geht?

Für mich ist Chemie eine mystische Wissenschaft. Und dass sie so etwas Fantastisches wie LSD hervorgebracht hat, ist der beste Beweis dafür, dass sie eigentlich Alchimie ist, weil sie eine Substanz gefunden hat, die den Geist zur Erleuchtung bringen kann. Für mich gibt’s keinen Unterschied zwischen Chemikalien und Pflanzen, genauso wie es für mich keinen Unterschied zwischen Tieren und Pflanzen gibt, jetzt auf der Ebene des Wunders des Lebens.

Viele suchen dieses, sagen wir – in Nepal.

Und sind von den Socken, wenn sie krank werden und der Schamane vor Ort ihnen den Gang zur Apotheke rät, um sich Antibiotika zu besorgen. Das ist natürlich für Esoteriker mit Heilserwartung das Allerletzte.

Wären alle Gesetze im Sinne deines Expertentums geändert – was würdest du dir wünschen?

Ein Schulunterrichtsfach Rauschkunde.

Von welcher Klassenstufe an?

Von der ersten. Da sind die ja noch mit einem Bein auf dem Spielplatz, wo sie mit Schaukeln und Drehen und allem Möglichen veränderte Bewusstseinszustände aufsuchen.

Ernsthaft: ein schaukelndes Kind – auf dem Weg zum Sekundenrausch?

Das sind die ersten Bemühungen, Methoden zu finden, wie man einen Rausch erleben kann. Das ist ein angeborener Trieb des Menschen.

Als Entgrenzung?

Das ist eher ein psychologischer Begriff, aber der sehr viel mit schamanischer Sichtweise zu tun hat. Seine eigenen Grenzen überschreiten, um mit allem, was ist, in Kontakt zu kommen.

Was ist bewusstseinserweiternder: Wagner in Bayreuth oder Trommelgruppe in Berlin-Friedrichshain?

Bayreuth natürlich. Wagners „Ring des Nibelungen“, das ist ein unfassbares Geschenk, ein schamanisches Gesamtkunstwerk. Es geht um die Möglichkeit, sich für den Weg der Liebe oder für den Weg der Macht zu entscheiden. Wir erleben, dass jemand die Liebe verflucht un1d die Macht gewinnt und was daraus für schreckliche Komplikationen entstehen. Der Ring des Nibelungen …

ist doch bizarr …

... nein, und er hat nichts mit den Nazis zu tun. Hitler hatte Angst vor der Götterdämmerung, weil sich da die Prophezeiung erfüllt, dass jemand, der machtgierig ist, nicht überleben kann. Und das ist insofern schamanisch, als Schamanen sich immer für den Weg der Liebe entscheiden müssen, damit die ihnen verliehenen oder erworbenen Fähigkeiten zum Nutzen der Menschen eingesetzt werden.

Was möchtest du uns zum neuen Jahr sagen?

Dass das alles in Ordnung ist. Es wird kein Weltuntergang kommen. Es wird nichts passieren, außer ihr tut es.

Jan Feddersen (54) und Martin Reichert (38) sind rauchende, Kaffee trinkende taz-Redakteure

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen