: Koffer voll Geschichten
■ Auf der Suche nach Identität: Eine Ausstellung von Künstlerinnen und Künstlern aus Chile und Hamburg in der Speicherstadt
in der Speicherstadt
In der Nähe vom Chile-Haus, diesem Backsteinmanifest profitablen Salpeterhandels, präsentiert sich in der Speicherstadt jetzt eine besondere Fracht: die Ergebnisse eines Kunstaustausches mit Chile. In Koffern, Reisekisten und Bündeln, die nicht schwerer als zwanzig Kilo sein durften, haben je sechs Künstler und Künstlerinnen aus beiden Ländern ihre sehr individuellen Vorstellungen auf Reisen geschickt. Auch dies versteht sich als Beitrag zum Columbus-Jahr, diesmal zum dem Thema Identität.
Nach 1492 ist eine ungebrochene Identität in keiner der bis dahin parallelen Welten mehr möglich. Auch die Geschichte Chiles ist als Geschichte von Tauschprozessen zu betrachten: Export von Waren, Import von Menschen, Vernichtung der Indianer, Umstrukturierung der Natur, Kampf zwischen Sozialismus, nationaler Diktatur und euro-amerikanischer Kulturdominanz. Noch heute ist keine den Gruppenidentitäten übergeordnete nationale oder gar lateinamerikanische Identität auszumachen.
Sehr brauchbar scheint der Begriff „weltweites kulturelles Mestizentum“, ein Vorschlag der Künstlergruppe La preciosa Nativa („Die schöne Eingeborene“). Deren mit einheimischen Schilfmatten verkleideter Koffer faßt von internationalen Mail-Art-Aktionen zu Materialfetischen, von Landschaftsmalerei zu Stoffcollagen die ganze Vielfalt zusammen. Die Suche nach kollektiver Identität ist besonders schwer, wo oft nicht einmal die persönliche klar ist: Obwohl in Santiago geboren, haben zwei der sieben von La preciosa Nativa einen deutschen Paß. Noch mehr Suche: Die eigene Position erforscht Patricia Vargas in ihrem Schrankkoffer und Enrique Zamuido breitet auf übermalter Fotoleinwand ein Panorama vager Erinnerungen aus.
Auf die ständige Wanderung von Menschen und Waren weisen geradezu leitmotivisch die Koffer von Claudio Bertoni: Mais geht, abgetragene Schuhe kommen. Noch direkter auf die wirtschaftliche Realität bezieht sich Humberto Nilo mit seiner Installation aus Satellitenfo-
1tos. Er sieht in dieser Technik die Tradition des auf Ausbeutung gerichteten Erobererblicks.
Peter Kroeger Clausen verweist mit den astillas auf die Holzchips zu denen der südchilenische Urwald verarbeitet wird - für den Export. Demgegenüber bleibt die in lateinischer Sprache nach Santiago gefaxte Botschaft von Michael Haller
1- „Alle Menschen wollen glücklich sein“ - eine zum Spott verkommene Verheißung. Hamburg konfrontiert der HfbK-Professor dagegen mit einem fotokopierten Hirschdenkmal, auf daß man sich hinter dem bunkerähnlichen Sockeldetail verschanze. Hajo Schiff
Dienerreihe 2, Block W, Boden 1; Di.-So. 11-19 Uhr; bis 7.11.
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