Wand und Boden: Jetzt kommt der Kater
■ Kunst in Berlin jetzt: Michael Tighe/Joachim Grommek, Fotografie und Malerei aus Georgien, Béatrice Stähli
Die Verbindung von Kunst und Gentechnologie schreitet voran. Während sich bislang vor allem Politzirkel mit dem Thema beschäftigten, nimmt das Ganze mittlerweile extrem poppige Züge an: Medizin ist eben auch nur ein Sujet und Unterhaltung das Ziel. Das „Stilleben“ bekommt mit solcherlei Experimenten einen ziemlich kuriosen Hintersinn.
Michael Tighe ist Ire und beschäftigt sich mit dem „Human Genome Project“, für das er eine Serie aus 20 Studien auf reinem Baumwollpapier sowie 16 Ölgemälde angefertigt hat. Die schemenhaft verwaschenen grauen Streifen versteht er als anonyme Portraits, die auf der Grundlage genetischer Fingerabdrücke entstanden sind. Erst ist man beeindruckt, dann beginnt man zu zweifeln, was diese „hochkomplexe Codematrix, deren Syntax noch nicht faßbar ist“, eigentlich darstellen soll – außer der Faszination durch das technisch Machbare, das hier nicht anders als auf Fragonards Stichen vom Leben auf die Leinwand übertragen wird. Auch eine Art Realismus.
Bei Joachim Grommek steht der chemische Prozeß im Vordergrund. Seine Displays sind eine Versammlung aller möglichen Materialien und Flüssigkeiten, die in ein Metallgehäuse als monochrome Flächen eingepaßt wurden. Im Gegensatz zu Tighe gleicht Grommek die derzeit heiß diskutierten Biomodelle mit ironischen Verweisen auf die Alltäglichkeit medizinischer Apparaturen ab. Plötzlich steht eine aus Holz und Kunststoff nachgebaute Personenwaage auf dem Fußboden, die mit Wachs überzogen und mit Zitronensaft farblich veredelt wurde; daneben OP-Tischchen, auf denen bunte Schwimmhilfen ausliegen. Und für „auano: oh“ hat er ein Ornament mit pulverisiertem Aspirin als feinem Film an die Wand geklebt. Früher malten die Neuen Wilden mit Kaffee, Rotwein und Speed. Jetzt kommt der Kater.
„Error“, bis 17.5., Di.–Sa. 14–19 Uhr, Museumsakademie, Rosenthaler Straße 39
Über Kunst aus Georgien erfährt man in der ifa-Galerie vor allem eines: Sie ist extrem nationalistisch vorgeprägt. Gründe dafür haben die Kuratorinnen Barbara Barsch und Ev Fischer im Bürgerkrieg gefunden, dem zwischen 1992 und 1994 fast 30.000 Menschen zum Opfer fielen. Das Leiden verbindet auch die Künstler mit dem Volk, so die Argumentation, „die künstlerische Aktion verpufft, wenn das alltägliche Leben so viele unerwartete Schrekken zu bieten hat. Die Zeit der Reflexion und Muße ist noch nicht gekommen.“ Anders als in Bosnien etwa, wo in Videos über Sarajevo Aufklärung und Information im Zentrum künstlerischer Aktivitäten standen, reagieren die Georgier mit Ironie, Zynismus und Propaganda auf die traumatischen Verhältnisse nach dem Ende der Sowjetunion. Man fühlt sich hilflos und schuldig zugleich – auch historisch, schließlich kam Stalin aus Georgien.
Der Krieg tritt dabei vollständig hinter romantisch-pathetischen Darstellungen zurück. Man klammert sich an die Vormoderne, als hätte das 20. Jahrhundert nie stattgefunden. Bei Mamuka Zezchladse finden sich Ölgemälde von skandinavischen oder holländischen Landschaften im Stil alter Meister, die er mit Farbkopien seiner kleinformatigen Bilder konfrontiert. Immerhin wird darin noch die Kluft zwischen dem Wunsch nach künstlerischer Autonomie und dem Stand der Kommunikationstechnik sichtbar, die dem rückwärts gewandten Modell von Kunst und Gesellschaft keinen Platz läßt. Die meisten Arbeiten verdrängen dieses Wissen jedoch: Niko Zezchladse stellt mit seinen Fototapeten in Schwarzweiß Szenen am Strand nach, die an C.D. Friedrichs „Mönch am Meer“ erinnern, Oleg Timchenko verklärt den Tod der Ophelia oder eine klassische Ballettänzerin im Tutu, die bei Nikolos Lomaschwili wiederum als Sinnbild einer hoffnungslosen Jugend mit Revolver abgebildet wird. Guram Cibachaschwili erklärt seine gelbstichige Fotodokumentation zur „Autobiografie vor meiner Geburt“, und wenn Giorgi Sumbadse von Grosny träumt, sieht man, wie Eisbären Proviantzüge belagern. Der Krieg wird auf die Größe von Modelleisenbahnen geschrumpft.
Andererseits führt auch die Selbstgeißelung nicht weit: Für die Installation „Touch everything except my heart“ hat Iliko Zautaschwili Standbilder aus diversen Pornofilmen miteinander kombiniert, die während der Beschießung von Tiflis im Fernsehen liefen, um die Bevölkerung ruhigzustellen. Das moralisch durchgearbeitete Mediengeflecht fällt allerdings mit dem tatsächlich aus Gips nachgeformten Herzen in sich zusammen. Indem Zautaschwili die Probleme ganz und gar wörtlich nimmt, kippt die sonst bewußt hart am Kitsch vorbeidriftende Installation ins Sentimentale um.
Bis 19.5., Di.–So. 14–19 Uhr, Friedrichstraße 103
1982 war Béatrice Stähli Studentin von Daniel Spoerri. Gemeinsam mit ihrem Fluxuslehrer hatte die damals 28jährige die sogenannte Kitsch-Eat-Art begründet, von der entsprechend skurrile Kochbücher existieren. Der Humor am Material ist Stähli erhalten geblieben: In der Galerie Wolf zeigt sie Reifen, Schädelknochen und Pudelreste – „Ab Art“, die federleicht mit Sex, Tod und Religion herumspielt, wie man es sonst nur von Kindern kennt.
An der Längswand hängen drei lange Haarbündel an Stahlkurbeln, die sich ruckartig im Kreis drehen. Die rotierenden „Pferdeschweife“ sind für Stähli ein Sinnbild freudig ausgetauschter Liebesenergie, in der sich mädchenhaft wippelnde Teenfrisuren und die Vorstellung vom mächtigen Phallus vereinen – ein wilder Ritt, der abrupt endet und die Schwänze dann wieder schlapp herabhängen läßt. Auch in der Serie mit „Profilschädeln“ verbinden sich allerlei Pferdekiefer und Reifenmantel, die unmittelbar in ein Ersatzobjekt übersetzt wurden. Der Übergang von Tier zu Maschine vollzieht sich mit einem Sprung zwischen den Materialien: Gummi statt Knochen. Vor allem stellt die Schweizerin den Fetischcharakter an ihren Skulpturen heraus, die fast archaisch erscheinen. Jagen, sammeln, Auto fahren. Tatsächlich findet sich bei den „Herrgottswinkel“-Arbeiten das Kühlerlogo von Audi, Mercedes oder Opel zwischen den Kieferknochen wieder. Ein wenig übertrieben wirkt die Tiersymbolik allerdings bei den Hunde-Objekten, für die Stähli plattgebügelte Pudel mit Neonleinen zu Kreuzigungsbildern verschnürt hat. Der Techno-Publizist Patrick Walder hält das Ganze jedenfalls für „politically correct, ohne platt oder oberflächlich zu sein“. Ein religiöser Schimmer bleibt.
Bis 3.5., Di.–Fr. 12–19, Sa 12–16 Uhr, Großbeerenstraße 36 Harald Fricke
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