: Kinder oder Generalsekretäre?
■ Podiumsdiskussion zum Thema „Nachrichtenethik“
Die Diskussion ist alt. „Was ist erlaubt im Kampf um Einschaltquoten? Nachrichtenethik im deutsch-amerikanischen Vergleich“ lautete diesmal die Variation der großen Frage, und interessant war weniger der Titel, denn die Unterzeile. Bald konzentrierten sich nämlich die drei Deutschen und die drei Amerikaner auf dem Podium der Jubiläumsveranstaltung zum fünfjährigen Bestehen der RIAS-Kommission auf die Frage, wer denn nun die besseren Journalisten habe.
Oder, mit den Worten des Bonner Wall-Street-Journal-Korrespondenten Matt Marshall: Sind die deutschen Journalisten mehr „Bettvorleger als Tiger“? Seit er in Deutschland arbeite, habe er ein ihm aus seiner Heimat völlig unbekanntes Phänomen im Journalismus festgestellt: Die „Absprachekultur“. Ausgewählte Journalisten würden von Politikern noch vor jeder Pressekonferenz ins Vertrauen gezogen, andere stünden permanent außen vor. Und auch die Sitte, Interviews dem Partner zur Durchsicht vorzulegen, worauf dieser Änderungen anbringen will und kann, obwohl das Gespräch auf Band vorliegt, sei in den USA nicht geläufig. Werner Sonne, lange Jahre ARD-Korrespondent in Washington, widersprach. Er habe viele Kohl-Interviews geführt, und was davon gesendet oder herausgeschnitten wurde, das habe er immer selbst bestimmt. Auch Dieter Weirich, Intendant der Deutschen Welle, hielt Marshalls Einschätzung für übertrieben. Wenn er, Marshall, nicht immer ganz oben auf der Politiker-Interview-Liste stehe, dann liege das nicht an böser Absicht, sondern an den Prioritäten der Prominenz. Einigkeit herrschte immerhin darüber, daß im Rundfunk sogenannte „Soft-News“, also bunte und vermischte Nachrichten, immer wichtiger werden. Aber ist dieser Trend nun gut oder schlecht? Ernst Elitz, Intendant des Deutschland-Radios, ist skeptisch: „Journalisten dürfen sich nicht zum Bettvorleger der Politiker machen. Aber es ist auch nicht gut, wenn sie der Bettvorleger eines sensationslüsternen Publikums sind.“ Und während Sonne eine solche Unterwerfung gleich als „Niedergang des Journalismus“ bezeichnete, fragte sich Deutsche- Welle-Weirich laut, was denn nun wichtiger sei – die Verlautbarungen zweier Generalsekretäre oder 30 Kinder, die in den Eistümpeln unserer Republik ertrunken sind. Eine Fragestellung, die – aus öffentlich-rechtlicher Kehle vernommen – durchaus Seltenheitswert hat. Stefan Kuzmany
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen