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Der lange Marsch im Stadtbild

Pünktlich zum 30. Jahrestag des 2. Juni bietet das Kulturbüro einen APO-Spaziergang an. Er führt von der Deutschen Oper zum Amerika Haus  ■ Von Jeannette Goddar

Es wird wieder Mozarts „Zauberflöte“ gegeben. Zwar nicht am 2. Juni – der ist in diesem Jahr spielfrei. Aber am Abend zuvor. Vor 30 Jahren haben hier der Schah von Persien und der Regierende Bürgermeister Heinrich Albertz derselben Oper gelauscht. Bis das Gerücht sich bis in die Loge vorgearbeitet hatte: Ein Polizist hat einen Studenten erschossen. „Ich saß steinern neben der steinernen Farah Diba“, erinnerte sich Albertz später – nach seinem Rücktritt und nachdem er sich als einziger politischer Amtsträger bei der Familie Ohnesorg entschuldigt hatte.

Ähnlichen Worten werden heute mittag Geschichtsinteressierte, unter ihnen vermutlich einige Nostalgiker, auf dem Platz vor der Deutschen Oper lauschen. Dort ist Treffpunkt für „Der lange Marsch durch die Geschichte der APO“, den das Kulturbüro Berlin anläßlich des 30. Todestages von Benno Ohnesorg erstmals seit Jahren anbietet. Vor dem Benno-Ohnesorg- Denkmal des Bildhauers Hrdlicka beginnt die Tour. Bis 1990 hat es gedauert, bis das Denkmal errichtet wurde – unter heftigem Protest der Polizei und der Charlottenburger CDU. Dabei hatte hier alles begonnen: Dichtgedrängt standen die Anti-Schah-Demonstranten vor dem Bauzaun gegenüber der Deutschen Oper. Doch keine Demonstration ohne heftigen Polizeieinsatz. „Nehmen wir die Demonstranten als Leberwurst, dann müssen wir in die Mitte hineinstechen, damit sie an den Enden auseinanderplatzen.“ So der Polizeipräsident.

Die Meute stob auseinander, in beide Richtungen der Bismarckstraße, über den Bauzaun – und eben auch in die Krumme Straße, in der wenige Minuten später (darf man sagen: der Startschuß?) für die Studentenbewegung gegeben wurde. Etwa 30 Demonstrierende hatten sich auf den Parkplatz vor der Krumme Straße 66/67 – heute Schillerstr. 29 – geflüchtet. Polizisten kesselten sie ein, knüppelten sie zu Boden. Polizeiobermeister Karl-Heinz Kurras, heute Rentner in Spandau, schoß Benno Ohnesorg in den Hinterkopf. Kurras wurde mangels Beweisen freigesprochen, tat weiter seinen Dienst bei der Polizei.

Nächste Station: Der Stuttgarter Platz, der sich heute als langweiliger Hof im noch langweiligeren Charlottenburg präsentiert. Stellt man sich mit dem Rücken zur S-Bahn, sieht man links an der Ecke einen Sex-Shop. Über ihm hatte es sich 1967 die Kommune1 gemütlich gemacht. Fritz Teufel, Rainer Langhans, Dieter Kunzelmann und natürlich Uschi Obermaier, an der das Konzept der freien Liebe dann letztlich scheiterte. Doch wie verklemmt es zwischen den Orgasmusdebatten zuging, haben viele später ohnehin gebeichtet. Nicht zufällig spielte sich damals viel in Charlottenburg ab: Hier rotteten sich die Studenten in Untermietverhältnissen bei einer wohlmeinenden Mutti zusammen. Schon damals existierte eine Mischung aus bedrückender Bürgerlichkeit und der Lust auf bezahlten Sex. Kreuzberg war noch kein Thema. Vielleicht wäre es den mittelständischen Jugendlichen dort auch zu schmuddelig gewesen.

Nächster Programmpunkt: das SDS-Büro am Kurfürstendamm 140, jenseits des Adenauerplatzes. Am 11. April 1968 kam hier Josef Bachmann des Weges, soeben mit dem Interzonenzug aus München eingereist, mit einer B.Z. bewaffnet: „Stoppt Dutschke jetzt“. Als er auf dem Mittelstreifen stand, sah er sich noch einmal um. Dort sah er ihn: Rudi Dutschke auf dem Fahrrad. Er geht zu ihm, gibt drei Schüsse ab. Der Schwerverletzte kommt ins Krankenhaus. Eine Weile glaubt man, er sei tot.

Letzter Stop: Das Amerika Haus gegenüber dem Bahnhof Zoo, Ort unzähliger Teach-Ins, Smoke-Ins, Sleep-Ins. Mit amerikanischen Aktionsformen begehrten hier die Studenten gegen US- Imperialismus und den Vietnamkrieg auf. Kulturbüro-Führerin Ulrike Lippe wird in den Köpfen ihrer Zuhörer die US-Flagge wieder auf Halbmast setzen. Und der Kommentator aus der B.Z. wird in ihren Ohren klingen: „Eine Schande für Berlin.“ Anschließend gehen alle nach Hause und blättern in ihren Fotoalben. Oder fragen ihre Eltern, was sie sich denn dabei bitte schön gedacht hätten.

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