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Arbeit auf der Sprechbühne

■ Die Kulturbrauerei lud zum Streitgespräch ohne Streit: Die Arbeit soll Zukunft haben, trotzdem wird man sich vom Traum einer Vollbeschäftigung lösen müssen

Kunst und Kultur waren die Leitmedien der frühen achtziger Jahre. Der neue Bundeskanzler hatte zur geistig-moralischen Wende aufgerufen, und die Kunst entpuppte sich als sichtbares Zeichen dieser Wende. Die Schalterräume großer Geldinstitute mutierten zu Kunsthallen, Autokonzerne sponserten Themenausstellungen und Rockkonzerte. Gleich reihenweise wurden ehemalige Industrieräume zu Kulturwerkstätten und -brauereien umfunktioniert.

Inzwischen kehrt die Arbeit an ihre einstigen Produktionsstätten zurück – in Diskussionen und als Problem. „Kultur ohne Arbeit – Arbeit ohne Zukunft?“ lautete der Titel eines Frühstücksgesprächs, zu dem die Kulturbrauerei in Prenzlauer Berg eingeladen hatte. Prenzlauer Berg, einst Synonym für eine sozialistische Subkultur, ist mit derzeit 12.750 Arbeitslosen ein sozialer Brennpunkt ähnlich wie Kreuzberg und Neukölln.

Daß ausgerechnet der Kulturjournalist Bernhard Schulz vom Tagesspiegel die Runde aus Bezirks- und Sozialpolitikern sowie Kirchen- und Wirtschaftsvertretern moderierte, gab der Veranstaltung die Stoßrichtung vor. Verkehrte Welt auf der Bühne im Kesselhaus der Kulturbrauerei: Gerhard Rosenkranz, Leiter des Arbeitsamts VII, forderte kämpferisch vom Staat mehr Visionen für Beschäftigung und weniger Regelungswut der Gesetzgeber. Das Zeitarbeitsmodell der holländischen Firma Randstad, das 260 Mitarbeiter in Berlin beschäftigt, wurde trotz seiner Deregulierungsfolgen freundlich begrüßt, während Gertrud Grumlich, Ärztin und Mitglied der Evangelischen Kirchenleitung Berlin-Brandenburg, sich der marxistischen Analyse hingab: „Wir befinden uns in einer Klassengesellschaft, die dabei ist, die Armen auszugrenzen.“ Das Humankapital der Gesellschaft dürfe nicht länger entwertet werden. Gerd Rosenkranz verwies auf die soziale Deklassierung, wenn man Arbeitslosen bereits nach sieben Monaten zumute, einen nicht berufsgemäßen Arbeitsplatz anzunehmen.

Trotz eines, wie alle betonten, so wichtigen gesellschaftlichen Themas wurde so gut wie überhaupt nicht gestritten. Der Pfarrer Manfred Richter verwies auf die Kulturgeschichte. Seit der Reformation seien wir obsessiv auf Arbeit fixiert. Nichts habe die Arbeitsgesellschaft entscheidender geprägt als die protestantische Ethik, in der man sich immer noch bewege. Die neueren Diskussionen über die Zukunft der Arbeit, an der bezeichnenderweise mehr Kulturschaffende als Gewerkschaftsvertreter teilnehmen, entdecken Arbeit nicht zuletzt als Pathosformel. Noch ist das Reden über Arbeit in den Hallen der Kultur allerdings Avantgarde. Publikum war so gut wie gar nicht anwesend. Harry Nutt

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