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Der Bund spielt verrückt

■ Bonn will mit immer weniger Geld die Arbeitslosigkeit bekämpfen, kritisiert Arbeitssenatorin Bergmann (SPD). Im Senat verhindert die CDU Arbeitszeitverkürzungen

taz: Seit Ihrem Amtsantritt vor sechs Jahren stieg die Zahl der Arbeitslosen unentwegt. Mittlerweile suchen 265.000 BerlinerInnen einen Job. Ein Mißerfolg der Arbeitssenatorin?

Christine Bergmann: Wenn Coca-Cola ankündigt, nach Berlin zu kommen, gibt diesen Erfolg CDU- Wirtschaftssenator Pieroth bekannt. Die Arbeitssenatorin wird dagegen gefragt, wenn einmal im Monat die Arbeitslosenzahlen kommen. Die steigen auch deshalb, weil die Bundesanstalt für Arbeit immer weniger Geld für ABM-Stellen und andere Förderprogramme ausgibt. Seit vier Jahren bekommen wir von dort nur Tiefschläge.

Sie sehen die Verantwortung allein bei der Bundesregierung?

Zum größten Teil. Natürlich hat Berlin immer noch einen großen Strukturwandel zu vollziehen und steckt finanziell in der Klemme. 1996 konnten wir noch 90.000 Personen mit einer Stelle auf dem zweiten Arbeitsmarkt, Umschulungen oder ähnlichem versorgen, dieses Jahr nur noch 80.000. Allein die Zahl der ABM-Stellen sank seit 1992 von 36.000 auf jetzt unter 14.000. Auf Bundesebene herrscht die verrückte Philosophie, daß bei steigender Arbeitslosigkeit weniger Geld für aktive Arbeitsförderung zur Verfügung steht, die Jobs schaffen kann.

Kürzlich haben Sie während eines Kongresses für das hehre Ziel geworben, die Arbeitslosigkeit bis zum Jahr 2005 zu halbieren. Praktisch passiert dagegen nicht viel.

Zur Umsetzung bedarf es eines gesamtgesellschaftlichen Konsenses. Man muß diese Strategien trotzdem öffentlich machen. Ich kämpfe gegen die weitverbreitete Meinung, man könne nichts tun. Mit relativ wenig Geld ließen sich Tausende aus der Arbeitslosigkeit herausholen. Beispiel Jobrotation: Beschäftigte eines Betriebes werden für einige Monate fortgebildet, und ein Arbeitsloser besetzt vertretungsweise diese Stelle. Das erleichtert die nachfolgende Jobsuche ganz wesentlich. Ich werde jetzt erneut versuchen, dieses Instrument ins Arbeitsförderungsgesetz zu kriegen.

Vermissen Sie Rückhalt im Senat?

Ja und nein. In der Frage der Arbeitszeitverkürzung kommen wir im Senat nicht voran. Einige KollegInnen befürworten lediglich, daß Beschäftigte des öffentlichen Dienstes freiwillig ihre Arbeitszeit reduzieren. Doch das reicht nicht, um eine nennenswerte Zahl von Leuten von der Straße zu holen. Anderes ist dem Senat nicht anzulasten: Wenn das Bündnis für Arbeit im Bund nicht funktioniert, klappt es auch hier nicht. Dann verweigern sich auch die hiesigen Arbeitgeber zum Beispiel dem Abbau von Überstunden.

Gerade bei der Arbeitsverkürzung scheinen Sie in der Landesregierung aber allein auf weiter Flur zu stehen.

Nein, bei der SPD gibt es dafür Unterstützung.

Vor der Bundestagswahl 1994 waren Sie als zukünftige Bundesarbeitsministerin im Gespräch. Sehnen Sie sich für 1998 nach einem Befreiungsschlag, um in einer rot-grünen Koalition auf Bundesebene mehr tun zu können?

Ich will diesen Wechsel unbedingt, damit die Stagnation aufhört. Die Mannschaft muß sich aber unser Kanzlerkandidat selbst zusammensuchen.

Wirtschaftssenator Elmar Pieroth hat keine rechte Lust mehr. Würden Sie ihn gerne als Senatorin für Wirtschaft und Arbeit beerben?

Neue Ressortzuschnitte machen nur am Beginn einer Legislaturperiode Sinn.

In Ihrer Verwaltung arbeiten 430 Beschäftigte. Ist dieser Wasserkopf angesichts der Misere nicht zu teuer?

Für Berliner Verhältnisse ist das eine kleine Verwaltung.

Im Bundesmaßstab nicht. Nordrhein-Westfalen kommt für dieselben Aufgaben mit der Hälfte des Personals aus.

Wir kümmern uns um die Gebiete Arbeit, berufliche Bildung und Frauen und wir sind ein Stadtstaat. Da fallen nicht nur ministerielle Aufgaben an. Unsere Leute müssen die Programme auch umsetzen. Das Ministerium eines Flächenlandes macht das nicht. Die konkrete Arbeit leisten dort die Kommunen.

Wären die Verwaltungskosten nicht für Langzeitarbeitslose besser angelegt als für gut qualifizierte Beschäftigte im Staatsdienst?

Wir brauchen unsere MitarbeiterInnen. Allein die Abteilung für berufliche Bildung hat dieses Jahr rund 7.000 Förderanträge zu bearbeiten.

Die bündnisgrüne Politikerin Marieluise Beck will den öffentlichen Beschäftigungssektor mit seinen ABM-Stellen und anderen öffentlich finanzierten Jobs einschränken und das Geld vornehmlich in die Arbeitsförderung bei Privatbetrieben investieren. Was halten Sie davon?

Neben der wirtschaftsnahen Förderung brauchen wir über die nächsten Jahre mit Sicherheit einen öffentlichen Sektor für Soziales, Kultur, Jugendarbeit. Ein Beispiel: Die Wohnung einer behinderten Frau muß dringend renoviert werden. Viel Geld hat sie nicht. Deshalb gehen die Leute eines Arbeitsförderbetriebs zu ihr, den wir unterstützen. Sie holen sie raus, renovieren ihre Zimmer und bringen sie wieder rein. Nur so kriegt die Frau ihre Wohnung renoviert. Sonst könnte sie die Malerkosten nicht bezahlen. Deshalb würde ein Privatbetrieb das gar nicht machen und dafür auch niemanden beschäftigen. Mit dem Arbeitsförderbetrieb tun wir erstens etwas Nützliches und geben zweitens denjenigen Arbeit, die auf dem normalen Markt keine Chance haben. Interview: Hannes Koch

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