piwik no script img

Der ständige Vertreter

Gesichter der Großstadt: Der Promi-Wirt und „Ja zu Bonn“-Kämpfer Friedel Drautzburg eröffnete einen Ableger seiner Kneipe „Ständige Vertretung“ in Mitte  ■ Von Jens Rübsam

Die Dame vom Süddeutschen Rundfunk hat sich eine provozierende Frage ausgedacht. „Herr Drautzburg, wie ist das nun mit der Liebe zu Berlin?“ – „Die ist echt“, bonnert Herr Drautzburg ins Mikrofon. „Schon vor dreißig Jahren war ich hier, 1959 als Student.“ Die Dame nickt und lächelt, und Herr Drautzburg, der 1991, als es um die Hauptstadtfrage ging, den rheinischen Volkszorn in der Bürgerinitiative „Ja zu Bonn“ bündelte, erzählt den Hörern im süddeutschen Raum: „Die neue Berlin-Liebe, wenn es denn eine ist, ist drei, vier Monate alt.“ Dann schaut er die Dame abwartend an und schmunzelt in seinen bübischen Bart. Noch ist es keine wahre Liebe zu Berlin. Und ob es je eine wird? Die Frage, mag sich Friedel Drautzburg, 59, denken, ist wahrscheinlich so dumm wie die Annahme, ein Bonner könne tatsächlich Berlin lieben.

Für den Promi-Wirt aus der rheinischen Ex-Hauptstadt, seit Freitag auch Promi-Gastronom in Berlin, stellen sich, seitdem er in der Hauptstadt ist, ganz andere Fragen. Zum Beispiel: warum hier so viele Scheiben zerkratzt werden. „Das ist doch eine Frechheit.“ Auch eine Fensterscheibe seiner Kneipe „Ständige Vertretung“ (StäV) – Drautzburgs neue gastronomische Ost-West-Bonn-Berlin- Begegnungsstätte am Schifferbauerdamm in Mitte – ist von Kratzern gekennzeichnet; der Blick hinüber zur Spree ist getrübt. Das schmerzt. Besonders einen Rheinländer wie ihn, der nun doch, nach patriotischem „Ja zu Bonn“- Kampf, in die neue Hauptstadt gekommen und froh ist, eine Adresse in Wassernähe gefunden zu haben. Aber nicht nur das: Die „Ständige Vertretung“ liegt mitten im zukünftigen Regierungsviertel. Die Stammkundschaft, die die alte StäV am Bonner Bundestag jahrzehntelang besuchte, wird nachziehen. Die alten Gäste, Politiker und Journalisten, werden auch die neuen sein. Da ist sich Friedel Drautzburg gewiß.

Zunächst aber möchte er noch Fragen klären wie diese: Warum es so viele Westberliner gibt, die ungern S-Bahn fahren. Das hat er gehört, und er kann nicht verstehen, wie einer, der in dieser Stadt lebt, das Auto benutzt. Noch fragt sich Friedel Drautzburg: „Was ist das nur für eine Stadt?“ Es klingt aufrichtig und ein wenig naiv.

Drautzburg, der Altlinke, der 68er, der 1969 und 1972 für Willy Brandt Wahlkampf gemacht hat, der Günter Grass und Norbert Gansel bewirtete, der noch heute SPD-Mitglied ist – „auch wenn es oft Gründe gibt, auszutreten“ –, was er aber nicht macht, weil er dann ein bißchen Heimat verlieren würde, Friedel Drautzburg schüttelt das weiße Haar, vergräbt den Kopf in den Händen, um dann, triumphierend, seine Berliner S-Bahn-Geschichte zu erzählen: wie er kontrolliert wurde, den Fahrschein nicht finden konnte, den Herren aber versicherte, daß er einen habe, was die ihm nicht glauben wollten. Er versuchte es auf die charmante Art: „Können Augen aus dem Rheinland lügen?“ Auch das klappte nicht. Er mußte aussteigen. Draußen fand er den Fahrschein, „das war ein Triumph“. „Gut“, sagt Friedel Drautzburg, „den Triumph hätte ich viel lieber im Zug gehabt.“

Nicht zuletzt sind da ganz einfache, für Berliner sicher banale, für Neuberliner aber wichtige Fragen. Was hat das Wort „Berolina“ zu bedeuten? Stimmt es, daß es in Berlin schon ein gastronomischer Erfolg ist, wenn man den Gästen gekühltes Bier serviert? Wie viele S-Bahn-Züge fahren hier, am Schiffbauerdamm, ganz in der Nähe der Friedrichstraße, vorbei? An der „Ständigen Vertretung“ nämlich soll Werbung angebracht werden; auch ein Altlinker muß aufs Geld schauen, „man ist nicht mehr allein auf der Welt“.

Drautzburg ist dabei, sich in Berlin einzurichten – und eine Brücke zwischen Ost und West, zwischen Bonn und Berlin zu schlagen. Er versucht es mit Erinnerungen, mit Weisheiten und mit Charme – mit der „Ständigen Vertretung“, „der ständigen Vertretung des Rheinlandes in Berlin“, wie Drautzburg die Lokal-Bezeichnung umschreibt. Geliehen freilich hat er sich den Namen von dem ehemaligen Sitz der Bonner Diplomaten in der Hauptstadt der DDR, nur unweit seines Lokals.

Erinnerungen, von denen die „StäV“ lebt. Fotos mit Willy Brandt natürlich, seinem Idol: Willy mal ausgelassen mit Klampfe, Willy mal nachdenklich blickend. Aber auch Kohl und Adenauer hängen hier. Ein alter Zuschneidetisch aus der Bonner Fahnenfabrik, „darauf wurden die Staatsfahnen genäht“, steht im Lokal und ein Stuhl aus dem ersten Deutschen Bundestag. Ein Fenster aus dem Alten Wasserwerk hat Drautzburg gekauft. Auf den 37 kleinen Scheiben hat er die Geschichte der DDR verewigen lassen, von einem Künstler aus dem Osten. „Es wäre vermessen gewesen, wenn ich versucht hätte, die DDR darzustellen.“

Weisheiten, gastronomische, sprudeln aus Friedel Drautzburg heraus. „Freundlichkeit kostet im Einkauf nichts“, „Bier verkloppen kann jeder, aber ein gutes Lokal führen nicht“, „ein Kölsch muß immer mit dem Wappen zum Auge des Gastes serviert werden“ oder: „Ein guter Espresso muß eine halbe Stunde nachschmecken.“ „Wer hier 30 Mark läßt, hat viel dafür getan“, sagt Friedel Drautzburg. Seine Weisheiten sind sein Charme. Wo heute die „StäV“ ist, war früher das „Osvaldo“, ein In-Lokal, das, vorsichtig gesagt, nicht gut ging, weil Drautzburgsche Weisheiten nicht beherzigt wurden.

Irgendwann einmal will „Friedel Gastro“ (Spiegel) ein Buch schreiben. „Mein Leben“ wird es nicht heißen. Vielleicht deswegen, weil er nun unsicher geworden ist, was denn sein Leben überhaupt ist. Bonn ist es noch, Berlin ist es nun auch. Zehn Tage dort, zehn Tage hier. Er ist ein „ständiger Vertreter“ geworden. Jens Rübsam

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen