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Müde Haarwurzeln aktivieren

■ Hafa '97: Der Haarpflegestand der Jutta Prinzen auf der Hafa aus der Sicht eines männlichen Glatzeninhabers / Ein Selbsterfahrungsbericht direkt von der Hafa

„Ihre Wurzeln leben noch!“Dies ruft nach einem flüchtigen Blick auf meine nicht enden wollende Stirn Igor Baggio – und seine Stimme ist voll ansteckender Freude. Igor Baggio steht auf der Hafa '97 am Haarpflegestand der Frisur- und Imageberaterin Jutta Prinzen. Er schenkt den Menschen das wärmste Lächeln seiner tiefbraunen Augen als Vertreter für Paul Mitchell-Erzeugnisse („Besondere Friseure führen Paul Mitchell“). Im Nebenamt vertritt er allerdings auch Produkte aus dem Hause „Wild Beauty AG“, zum Beispiel ein „GKL Thymuspepid“. Dieses GKL bremst erwiesenermaßen sowohl den erblichen, als auch den kreisrunden, den diffusen, wie den totalen Haarausfall. Oder stoppt ihn. Oder kehrt ihn sogar um. Igor Baggio drückt mir ein Gutachten in die Hand. Ich bin beeindruckt. Nie hätte ich geglaubt, daß ein Mann, haarlos zumal, mit derart offenen Armen an dem von Frauen umlagerten Stand der bremisch-hannoverschen Friseur-Kette Prinzen empfangen wird.

Fräulein De Stefano macht den Eindruck, als habe sie den ganzen Tag auf mich gewartet. Sie räumt umgehend meine letzten Zweifel, ob ich hier richtig sei, aus der Welt. Fräulein De Stefano vertritt das Haus Wella, und Wella verschenkt in der Tat ein „Journal für Männer“namens „Man Power“. Darin geht es nicht zuletzt um die Haarpflegeserie „Just Men“und, so Fräulein De Stefano, „daß der Mann nicht länger untergeht in der Haarpflege.“Also um eine historische Ungerechtigkeit. Im Grunde hält Fräulein De Stefano den Ausdruck „Just Men“noch für zu zaghaft. „Only for Men“sagt sie. Und drückt mich sanft auf einen Stuhl.

Dieser Stuhl gehört zu einem „Haar-Diagnose-Center“(HDC). Ein handtellergroßer Apparat, der an Ultraschalluntersuchungen erinnert, fährt über meinen Hinterkopf. Vor mir ein Bildschirm. „Das ist Ihre Glatze, sehen Sie?“beginnt Fräulein De Stefano ihre Diagnose, „sie spiegelt!“. Plötzlich schieben sich vereinzelte fingerdicke Haare ins Bild und sehen so gläsern glänzend aus, daß man ihren Träger für einen Engel halten möchte. „Das Haar ist gesund,“lobt Fräulein De Stefano, „es sieht gar nicht spröde aus.“– „Es ist so wenig spröde wie ich,“möchte ich ausrufen, doch da hat sie etwas entdeckt. „Eine Schuppe,“ruft sie und deutet auf ein weißes, wackersteinähnliches Gebilde: „Hat sich am Haar angelagert. Übrigens haben Sie Spray drauf?“. Es ist, da bin ich mir sicher, eine rein wissenschaftlich begründete Frage. Der Verhohnepipelung wäre Fräulein De Stefano gar nicht fähig. Sie verschreibt mir umgehend Just for Men-Biotin Intensiv Tonikum mit Tri-Komplex zur Intensivbehandlung von männlichem Haarausfall. Dieses Mittel rege die Haarwurzel an, „die sind doch oft einfach nur eingeschlafen“.

Schließlich werde ich weitergereicht an – mein Glück ist ohne Grenzen – Frau Jutta Prinzen persönlich. „Ja,“ruft sie aus und ist so überaus blond, daß ich ganz zaghaft werde: „Männer sind ja so zaghaft!“Was die Frisurberatung angehe. Diese bietet sie inclusive Haardiagnose in ihren Filialen an, und weil das gern schon mal eine dreiviertel Stunde dauert, bittet sie um Voranmeldung. Doch eigentlich schlummert tief im Herzen von Jutta Prinzen eine allumfassende Komplettberaterin.

„Image Consulant“steht auf ihrem Namensschild. Eine Imageberatung braucht fünf Stunden locker, und ich solle mir bloß nicht einbilden, sie würde mir mal eben so nebenbei die Farben nennen, die zu mir passen bzw. das Brillengestell oder die richtige Frisur. Höchstens soviel: Ich sei ja wohl ein „natürlicher Typ“, die Lederjacke passe zum „legeren Beruf des wilden Reporters“und wichtig sei eben auch immer, daß die Uhr am Handgelenk nicht teuerer sein dürfe, als die des Chefs.

Einmal sei zu ihr ein Mann gekommen, Speditionskaufmann, Nacken nicht ausrasiert, durchaus ungepflegt, sandfarben gekleidet – der treibe heute Sport, besuche nicht nur einen guten Friseur, sondern benutze Haarpflegemittel und eine Body-Lotion und falle neuerdings durch blau-weiße Kleidung angenehm auf. „Ich,“sagt Frau Prinzen, „sorge für das Wohlfühlen in der zweiten Haut.“

Einen Rat hat Jutta Prinzen noch für mich: „Eine teure Kombination muß immer im Schrank hängen. Für den Fall, daß Sie den Anruf Ihres Lebens kriegen. Das kann ein Rendevous sein oder ein Job – Sie müssen immer bereit sein!“Als Frau Prinzen so spricht, wird mir klar, daß ich nicht bereit bin. Ganz und gar nicht. Noch nicht. BuS

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