■ „Subversion“ steht als politische Strategie noch immer hoch im Kurs – ob es nun um Fragen des Geschlechts oder um solche des ästhetischen Empfindens geht. Doch die Kraft, die von dieser Vokabel einmal ausging, läßt mittlerweile stark nach. Ein Abgesang von Michael Rutschky: Das Wirken eines kritischen Schlagworts
Als es mit der Revolution Ende der sechziger Jahre nicht klappte, verlegte sich die Szene der gesellschaftlichen Opposition auf filigranere Methoden, die schlechten Verhältnisse nach ihrem Gusto zu überwinden. „Subversion“ hieß die Parole und bedeutete, sich dem „System“, der „Gesellschaft“ oder überhaupt dem schlechten Jetzt zu entziehen. Resultat: eine wunderbare Umwertung aller Werte in der kulturellen, ja, hin und wieder auch in der politischen Sphäre.
Irgendwann begann sich in unseren Kreisen eine Vorliebe für die Wörter „Subversion“ und „subversiv“ auszubilden – unser Freund Aldebert, Literaturwissenschaftler und mit den neuesten Errungenschaften der französischen Theorie gründlich vertraut, pflegte sogar das Tätigkeitswort „subvertieren“ in Anschlag zu bringen: Mittels dieser oder jener Strategie subvertiere dieser oder jener Text seinen offenbaren oder latenten Sinn.
Das war lobend gemeint, wie überhaupt „Subversion“ oder „subversiv“, wenn sie einem Buch oder einem Tanzstil oder der allerneuesten Mode in der Subkultur attestiert werden, als Lobesformeln gelten sollen. Oft scheint es, als sei insgesamt Subversion die Hauptaufgabe der Subkultur. Daß alle Szenen zusammen die Silbe „sub“ teilen, bekräftigt für die Traumlogik, der wir immer wieder so gern verfallen, daß Subkultur stets subversiv ist, was immer sie auch treibt.
Was wäre eben die neueste Mode in der Subkultur, mittels deren sie ihren subversiven Pflichten nachkommt? Wenn ich richtig sehe: Daß Frauen sich mittels Kleidung, Haarschnitt etc. täuschend ähnlich als Männer inszenieren können und umgekehrt.
Cross-dressing heißt die Parole, wenn ich richtig informiert bin, und unsere Freundin N., ebenfalls Literaturwissenschaft, kann sie erläutern: Eine kluge Frau namens Judith Butler, Philosophin in den Vereinigten Staaten von Amerika, habe gezeigt, daß der Geschlechtsunterschied zwischen Mann und Frau keineswegs ein körperlich-naturaler, sondern vor allem einer des Habitus, der Inszenierung des Körpers in den Augen der anderen sei, was aber Eingriffe in diese Inszenierung und damit Subversion der scheinbar natürlichen Geschlechterordnung ermögliche.
In der homosexuellen Subkultur von San Francisco – in der Nähe unterrichtet die Philosophin Butler – werde diese Subversion praktisch betrieben. Und wenn wir jetzt während des schönen Abendessens, zu dem uns die Literaturwissenschaftlerin N. in ihre schöne Wohnung eingeladen hat und unter dessen Fortgang sie uns über die Subversion durch Cross-dressing aufkärt, skeptisch die Augenbrauen hochziehen oder den Berliner Psychoanalytiker Gerhard Maetze referieren, der anschaulich zu erzählen wußte, wie männliche Transvestiten beim Striptease die höchste Befriedigung aus jenem Augenblick gewinnen, in dem sie sich dem Publikum mit einem männlichen Geschlechtssteil präsentieren – dann kann sich unsere Freundin N. sehr ereifern.
Sie selbst würde freilich niemand, auch wenn sie den strengsten anthrazitfarbenen Hosenanzug trägt, mit einem Mann verwechseln. Sie legt auch nicht den geringsten Wert darauf.
Halten wir mal fest, was wir jetzt über Subversion wissen: Sie richtet sich gegen Verhältnisse, die natürlich scheinen, sie enthüllt, was als Natur imponieren möchte, als gesellschaftliche Konstruktion. Das ist Marx! unterbricht unser Freund Aldebert, der brillante Texttheoretiker, die gute alte Kritik der Ideologie, des falschen Bewußtseins, das für Natur hält, was Gesellschaft ist. Wandte sich Marx gegen ökonomische Ungleichheit, so geht heute die Kritik gegen die der Geschlechter, wobei das Cross-dressing der männlichen und weiblichen Transvestiten ein anderes ehrwürdiges Marx-Konzept anzuwenden strebt, die Einheit von Theorie und Praxis: Der Nachweis, daß auch das Fleisch eine soziale Konstruktion ist, wird nicht nur mündlich oder schriftlich vorgetragen, sondern körperlich gelebt...
Nun gut, dies wäre die neueste Mode in puncto Subversion. Ich erinnere mich aber an Zeiten, wo ganz andere Dinge als subversiv galten. Um mich so weit wie möglich vom Fleisch und den Geschlechterspannungen zu entfernen: Die unglaublich schlechten Filme beispielsweise, die der amerikanische Regisseur Roger Corman mit unglaublich wenig Geld in unglaublich kurzer Zeit nach den Erzählungen von Edgar Allan Poe fabrizierte.
Diese Filme in der Nachtvorstellung wieder und wieder zu bewundern – wobei der Joint die Neigung zum anhaltend haltlosen Kichern auf Dauern stellte –, das galt als kulturrevolutionäre Tat, ja eben als subversiv. Apropos Joint, der Rauschgiftkonsum galt ja ebenfalls irgendwann als Inbegriff von Subversion, aber damit sind wir schon wieder beim Körper...
Trash! hat der Texttheoretiker Aldebert schon beim Stichwort Roger Corman unterbrochen, das war diese Mode, die verherrlichte, was der bildungsbürgerliche Kanon Schund nennt. Hier gilt die Subversion dem Verhältnis von oben und unten. Anfang der siebziger Jahre hatte sich auch für das Kino ein Kanon der wahrhaft guten Filme ausgebildet. Zuvor befand sich das Kino überhaupt außerhalb des Kanonisierbaren. Und mit diesem Filmkanon mußte der Wunsch, ja die Notwendigkeit aufkommen, ihn zu subvertieren.
Der russische Texttheoretiker Schklowski hat schon früh in diesem Jahrhundert gezeigt, wie die Literatursprache plötzlich Slang und Argot anzieht, das Unterste zu oberst kehrt. Das ist Nietzsche, setzt unser brillanter Freund Aldebert noch eins drauf, die Umwertung aller Werte, sofern sie naturhaft fest geworden sind – eine Grundregel der kulturellen Evolution.
Nicht bloß Marx, sondern auch noch Nietzsche. Daß Subversion der kulturellen Ordnung eine Grundregel der kulturellen Ordnung sei, daß Subversion also zur Ordnung selbst beitrage, dieser Gedanke paßt jedenfalls zu der Position, die unser Freund Aldebert unterdessen in der Ordnung selbst einnimmt. Er ist ordentlicher Professor.
Kein langhaariger, haschdampfender Angehöriger der Subkultur mehr, sondern ein angesehener Wissenschaftler von hoher Reputation, der in der Business Class von einem internationalen Kongreß zum nächsten fliegt, um in brillanten Vorträgen kanonische Werke von Sophokles über Shakespeare bis Heiner Müller zu subvertieren. (Ähnliches ließe sich von der Lebenspraxis unserer Freundin N. berichten.) Die Umwertung der Werte stellt keinen revolutionären Akt dar, der die Verhältnisse ein für allemal umstürzt. Subversion gehört zur ewigen Wiederkehr des Gleichen.
Das ist der Subkultur natürlich nicht entgangen. Deshalb hat sie Strategien der Subversion entwickelt, die schon auf die Umwertbarkeit aller Werte gefaßt sein sollen. Immer wenn von „sich entziehen“ die Rede ist, sind wir Gegenstand einer solchen Strategie. Es kann der Sinn des literarischen Textes sein, der sich entzieht, wie Prof. Aldebert in seinen bewunderungswürdigen Analysen zeigt.
Früher, als ich jung war, sollten wir uns den großen Apparaten entziehen, die ihren Nachwuchs rekrutieren wollten. Gerade der politisch agitierte Jungmensch konnte eifrig darlegen, weshalb keinesfalls in die großen Parteien einzutreten sei, und am allerwenigsten in die SPD. Mein alter Freund Theckel war in den Siebzigern bloß eingetreten, um sich der Unmöglichkeit politischer Arbeit in der SPD mit eigenen Augen zu vergewissern und die Partei sogleich wieder zu verlassen. Wer immer es ist, den ihr eben sucht, proklamiert die Strategie des Sichentziehens, ich bin es nicht. Fragt sich bloß, ob noch jemand sucht.
Diese Frage konnte eine andere dieser selbstreflexiven – wie die Theoretiker sagen – Subversionsstrategien beantworten: Sie setzte auf Mimikry statt auf Widerstand. Schon in den Sechzigern, als klare Negation sämtlicher Verhältnisse angesagt war, ließ uns Professor Bazon Brock (damals war er noch keiner) seine Ideen zu einer „Revolution des Ja“ wissen.
Sie waren Andy Warhol abgeschaut, der mit Affirmation und Verdopplung der Warenwelt die avanciertesten Kunstwerke produzierte. Aber auch Punk, in den Siebzigern, verfolgte eine Strategie von Mimikry und Affirmation: Verdreckt und abgerissen, von harten Drogen abhängig inszenierte sich der Jungmensch als die schlimmsten Befürchtungen, welche wohlmeinende Sozialpädagogen betreffend die arbeits- und perspektivlose Jugend im Spätspätkapitalismus hegten. Dabei war der Punk persönlich, wie jede Begegnung lehrte, von großer Freundlichkeit und Sanftmut erfüllt.
Es macht wohl keinen Sinn, immer wieder die neueste Strategie, die sich der endgültigen Umwälzung der Kulturverhältnisse verschreibt, mit diesbezüglicher Hoffnung zu besetzen. Die Umwertung aller Werte höret als Grundmechanismus der kulturellen Ordnung nimmer auf – jetzt haben die Skinheads, die nun wirklich niemand als subversiv erkennen mochte, durchgesetzt, daß ihr zentrales Modezeichen kanonisch wurde: Besuchen Sie eine beliebige Kulturveranstaltung, und Sie werden sehen, daß der modebewußte Mann gleich welchen Alters das Haar so kurz es geht geschoren trägt.
Aufschlußreicher als die Frage, ob nicht vielleicht doch eine Strategie denkbar ist, die den endgültigen Umsturz, die wahrhafte Subversion bewerkstelligt, scheint mir am Ende eine andere: Worauf hier eigentlich der Wunsch zielt?
Daß die Geschichte, die wir leben, ein Außen habe, in das man gelangen kann – sei's in der Zukunft, sei's hier und jetzt –, wenn du nur das Zauberwort kennst. Was das Grübeln über Subversion, dem gewisse Kader so gern obliegen, bezeugt, ist ihr Bedürfnis nach Metaphysik. Ob sie nun auf Cross-dressing setzen, Trashfilme oder literarische Montagetechniken: Unablässig nähren sie den messianischen Impuls, daß die Hauptsache noch gar nicht da ist, der Anfang der Geschichte erst noch kommt.
Schwer zu sagen, ob das die kulturelle Entwicklung, die auf permanente Umwertung aller Werte setzt, behindert. Oder ob, umgekehrt, die kulturelle Entwicklung es ohne den messianischen Impuls womöglich gar nicht zu dieser anhaltenden Umwertung brächte.
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