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Ein Schnellgericht

Erste Verhandlung des Internationalen Seegerichtshof endet nach nur zehn Minuten  ■ Von Heike Haarhoff

Diese Provinzhanseln! Der Türsteher im grauen Zweireiher wedelt aufgeregt mit den Händen in Richtung Journaille. Erheben soll die sich, verflixt nochmal. Mit ernster Miene, weiß-gestärkter Halskrause, eingehüllt in dunkle Roben, schreiten soeben 19 ehrwürdige Herren aus 19 Staaten im Gänsemarsch in den Großen Festsaal des Hamburger Rathauses.

Es ist die erste gemeinsame Gerichtsverhandlung der internationalen UN-Seerichter, entsprechend groß ist das öffentliche Interesse, und die Hansestadt hat sich nicht lumpen lassen: Weil der Internationale Seegerichtshof in Nienstedten noch ein ungastlicher Rohbau ist, öffnete der Senat gestern spontan das Rathaus (und da es um Schifffahrt geht, war die Entscheidung für den Großen Festsaal mit seinen maritimen Wandmalereien ein Selbstgänger), auf daß hier, im Angesicht der Skulptur „Gnade“, Recht gesprochen werde.

Die Karibik-Insel St. Vincent und die Grenadinen klagen gegen die Regierung des westafrikanischen Staates Guinea: Die soll, so der Vorwurf, das grenadinische Tankschiff „Saiga“seit Wochen widerrechtlich im Hafen von Conakry festhalten. Die Beweggründe hierfür blieben gestern das Geheimnis Guineas – für die meisten im Saal jedenfalls. „Die Akustik ist eine Katastrophe“, mault ein Herr im Publikum. Ein Kopfhörer wird gereicht und er begreift, daß sein Verständnisproblem weniger auf das mangelnde Stimmvolumen der Richter zurückzuführen ist: In Englisch und Französisch wird hier verhandelt, Übersetzung Fehlanzeige.

Nach zehn Minuten endet der Spuk unvermittelt. „...renvoi de l'affaire... le 27 novembre“, schallt es aus den Kopfhörern. Befremdete Blicke. Die Richter gehen einfach raus. Vertagen sich auf den 27. November. Guinea, so die Begründung, habe Prozeßunterlagen per Fax mit Verspätung erhalten und sich nicht ausreichend vorbereiten können. Und da es „im internationalen Bereich kein Säumnisurteil gibt“, gewährt man Verlängerung. Am 4. Dezember soll das Urteil ergehen. Bis dahin verweilen die 19 Seerichter in Hamburger Hotels – auf Kosten der UN-Mitgliedsstaaten.

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