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Von kessen Vätern und Kusinen

■ „Lesbisches Leben an Hammonias Ufern“: Nach Berlin wird jetzt endlich auch in Hamburg die Topographie von 300 Jahren Subkultur aufgearbeitet. Ein Stadtrundgang

Vor 300 Jahren tauschte Ilsabe Bunck Rock und Bluse gegen Männerkleidung, um ihre Geliebte Cecile Jürgens zu heiraten. Ein gefährlicher und dennoch nicht ganz ungewöhnlicher Schritt für die damalige Zeit: Im 17. Jahrhundert wagten in Europa mehr als 100 Frauen einen solchen Rollentausch – um Arbeit zu finden und mit ihren Freundinnen zusammenleben zu können. Wenn die falsche Identität aufflog, drohten allerdings drastische Strafen. Ilsabe Bunck wurde 1702 auf dem Hamburger Pferdemarkt verbrannt.

Katja Nicklaus hat ihre Geschichte wiederentdeckt. Auf der Suche nach Dokumenten frühen lesbischen Lebens in Hamburg hat sie anderthalb Jahre in Archiven gewühlt, Gerichtsakten studiert und Zeitzeuginnen befragt. Ihre Funde präsentiert die Geschichtsstudentin seit neuestem beim Stattreisen-Rundgang „Lesbisches Leben an Hammonias Ufern“. „Ich will zeigen, daß es Lesben schon immer und überall gab“, erzählt die 29jährige. „Die lesbische Geschichtsforschung in Deutschland hat sich bisher auf Berlin konzentriert, und ich wollte endlich genauer wissen, wie es früher hier in Hamburg ausgesehen hat.“

Schillernde Ikonen wie Gertrude Stein, Djuna Barnes oder Claire Waldorf hat Katja Nicklaus in Hamburg nicht entdecken können. Aber immerhin feierte der erste lesbische Spielfilm der Filmgeschichte, Die Büchse der Pandora, 1929 im UFA-Palast am Gänsemarkt seine Premiere, und in den 50er Jahren war die lesbische Szene hier sogar aktiver als in Berlin. Nicht zu vergessen das kurze Hamburg-Intermezzo der Schriftstellerin und Kaberettistin Erika Mann, die 1925 zusammen mit ihrer Geliebten Pamela Wedekind das lesbische Theaterstück Anja und Esther auf die Bühne brachte. Außerdem – welche andere Großstadt konnte schon nach dem Ersten Weltkrieg eine frauenliebende Feministin als Alterspräsidentin vorweisen?

Und wenn die 20er Jahre in Hamburg auch lange nicht so bewegt waren wie in Berlin, die kessen Väter und femmes, „Kusinen“ und „Freundinnen“ vergnügten sich dennoch in den neu eröffneten Bars am Alten Steinweg, Raboisen und an der Koppel.

Katja Nicklaus führt ihre Besucherinnen vorbei an den alten und neuen Szene-Treffpunkten vom ehemaligen Gängeviertel am Bäckerbreitergang bis nach St. Pauli. Mit ihrer Reise durch die Hamburger Geschichte will sie zeigen, daß Lesben es immer wieder geschafft haben, die gesellschaftliche Ausgrenzung positiv für sich zu nutzen: „Lesbisches Leben in den letzten 300 Jahren, das war Abschottung und Verleugnung genauso wie selbstbewußtes Leben gegen die Norm.“

Isabel Rodde

Der nächste Lesbische Stadtrundgang findet Sonntag um 15 Uhr statt. Detaillierte Infos bei Stattreisen, Tel: 430 74 29

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