: Privilegiert tanzen, plaudern und trinken
■ Der Hamburger Easy-Club Lounge mit Musik aus dem vormodernen Leben im Roten Salon
Nach seiner ausgiebigen medialen Verwertung ist Easy Listening wieder ein Sound und ein Style wie viele andere auch. Ganz in Ruhe können sich die Easy-Jünger wieder an den ausgewählt-obskuren Orten treffen – dort, wo der Mut zum guten wie schlechten Geschmack zum täglichen Brot gehört und die Cocktailgläser ausgiebig geschüttelt werden. Man trifft sich, erfreut sich an der Unterhaltungsmusik der letzten vierzig Jahre, denkt an den täglich sechs Liter Champagner konsumierenden Les Humphries und ist überhaupt ganz locker. Kann man in Berlin mittlerweile den typischen Easy-Listening-Club gar nicht so recht mehr ausmachen, ist es in Hamburg das Kiez-Etablissement Lounge, in dem sich die modernen Großstadt-Swinger der Neunziger regelmäßig treffen.
Hier gedachten die beiden Club-Betreiber Helmut Heuer und Peter Hennecke, die Aufmerksamkeit bei den unzuverlässigen Szene-Gängern etwas länger zu erhalten, und gliederten ihrem Club auch noch ein Label an: Lounge Records. Auf diesem werden seit Ende 1996 Alben mit, wie soll es anders sein, „relaxter, intelligenter und zeitgemäßer Clubmusik“ veröffentlicht. Und die stammt vorwiegend von Künstlern, die auch das akustische Erscheinungsbild des Lounge-Clubs prägten.
In dem mittlerweile auf zehn Alben angewachsenen Backkatalog von Lounge-Records finden sich nicht nur die Hamburger Electronic-Jazz- und Drum & Bass- Acts Lucky Loop und Gator, sondern auch der aus Manchester stammende Performance-Poet Lemn Sissay. Obwohl der Großteil dieser Veröffentlichungen sicher niemand in puncto Wohlgefühl, Gefälligkeit und schneller und reueloser Hörbarkeit vor den Kopf gestoßen hat, dürfte es vor allem aber der Sampler „Music For Modern Living Vol.1“ gewesen sein, der die „Lounge“ über die Grenzen Hamburgs zu einem Begriff gemacht hat. Hier gibt es Mixe all der üblichen Verdächtigen, die in den letzten Jahren sich nolens volens das Etikett „Easy Listening“ anheften lassen mußten: Pizicato Five, Le Hammond Inferno, Jimi Tenor, Compustible Edison usw. usf. Und so schoben Heuer und Hennecke dieser Tage gleich die zweite Compilation mit Sounds aus dem modernen Leben nach, dieses Mal mit smarten Mixen von Jazzanova, Rockers Hifi, Wiseguys und anderen Elektronik-Mix-Meistern, und diese wird mit den „Lounge“-Resident-DJs Pete Rivera und Mellow nun auch ausgiebig betourt. Mellow und loungy kann es so bis in alle Ewigkeit gehen, und da mag auch niemand wirklich was dagegen haben.
Bleibt noch die Frage, ob der Rote Salon ein gleichwertiger Ersatz für die Lounge ist. Als „privilegierte Oase in der Wüste des Nachtlebens“, wie die Lounge- Leute ihre Lieblingslocations zu nennen pflegen, kann man ihn jedenfalls durchaus bezeichnen. Und trotzdem: Ab und an tragen auch wir immer noch gern unser Geld in schlechtgeheizte Stinkekeller. Gerrit Bartels
Ab 1 Uhr, Roter Salon der Volksbühne, Rosa-Luxemburg-Platz
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen