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Baskische Wahlen vom Frieden überschattet

■ Gemeinsam wollen konservative Basken und ETA-Separatisten bei den morgigen Regionalwahlen die Mehrheit holen und damit die Gewalt in der Unruheregion überwinden

Madrid (taz) – „Einen historischen Tag für das Baskenland“ sieht der Kandidat der Baskisch- Nationalistischen Partei (PNV), Juan José Ibarretxe, im morgigen Wahlsonntag. Fünf Wochen nach dem Inkrafttreten des unbefristeten Waffenstillstandes der Separaristengruppe ETA stimmen die 1,8 Millionen Wahlberechtigten der Region erstmals in Abwesenheit von politischer Gewalt über ihr Autonomieparlament ab. Ibarretxes PNV wird, daran zweifelt keiner, einmal mehr stärkste Kraft. Aber wie kann die Abwesenheit von Gewalt in einen dauerhaften Frieden umgewandelt werden?

Förmlich im letzten Augenblick war es dem nach vier Legislaturperioden amtsmüde gewordenen bisherigen Präsident der Autonomieregierung José Antonio Ardanza (PNV) gelungen, einen Weg aus der über 30 Jahre andauernden Spirale der Gewalt zu öffnen. Die PNV inszenierten maßgeblich ein Treffen von 26 baskischen Gruppen und Parteien, darunter auch die der ETA-nahen Herri Batasuna (HB), im nordspanischen Lizarra. Gemeinsam verlangten sie einen „für alle offenen Dialog, um eine Antwort auf das Streben der baskischen Bürgerinnen und Bürger nach mehr Souveränität für das Baskenland zu ermöglichen“.

ETA stellte daraufhin die bewaffneten Aktionen ein. Die PNV erhofft sich jetzt einen Stimmenzuwachs als Preis für diesen „genialen“ politischen Schachzug, wie selbst die Madrider Presse den Pakt der Nationalisten nennt.

Arnaldo Otegi, Sprecher von HB und des von ihr gegründeten Wahlbündnisses Baskische Bürger (EH), hat sich den neuen Zeiten angepaßt. Propagierte er gestern noch den bewaffneten Kampf „als legitime Selbstverteidigung der Basken“, redet er heute von Frieden und einer „gemeinsamen Politik aller Nationalisten“. Er fordert einen Volksentscheid, in dem die Bewohner des Baskenlandes „selbst über ihre Zukunft entscheiden“. ETA betätigt sich als Wahlhelfer. Für heute hat das britische Fernsehen BBC die Ausstrahlung eines Videos angekündigt, in dem zwei Vermummte für EH-Stimmzettel werben.

„Souveränes Baskenland in Europa“

Der endgültige Frieden wird nicht kostenlos sein, darüber ist sich PNV-Mann Ibarretxe klar. „Man wird den Preis zahlen müssen, der nötig ist“, sagt er und redet zur Zufriedenheit von EH von „einem souveränen Baskenland innerhalb Europas“. Eine Regierungsmehrheit zu finden, die das mitträgt, wird nicht leicht, schließt die PNV doch eine Koalition mit EH aus. Nach Jahrzehnten der Gewaltverherrlichung seien die Linksnationalisten dazu „noch nicht reif“. Ein Ausweg aus diesem Dilemma könnte eine von EH geduldete Minderheitsregierung sein.

Bei den gesamtspanischen Parteien schwingt anders als bei den Nationalisten ein Unterton der Befürchtung mit. Der Urnengang gilt für sie als die wichtigste Abstimmung in Spanien seit dem Referendum über die Verfassung. Ging es einst um Diktatur oder Demokratie, so gehe es jetzt darum „die territoriale Einheit Spaniens zu retten“, warnt vor allem die sozialistische PSOE, deren Parteibarone aus den PSOE-beherrschten Regionen einen „Pakt von Merida“ unterzeichnet haben, benannt nach einer der ärmsten Städte Südspaniens. Die „Solidarität der Reichen im Norden mit den Armen im Süden“ sei gefährdet, sagen die Sozialisten. Der ehemalige sozialistische Regierungschef Felipe González warnt gar vor „einer Entwicklung wie in Sarajevo“. Die PNV habe im Tausch für den Waffenstillstand die spanische Verfassung preisgegeben. Es gelte deshalb eine „Antinationalistische Front“ zu schmieden.

Die in Madrid regierende konservative PP will davon nichts wissen. Zwar wettert ihr baskischer Spitzenkandidat Carlos Iturgaitz gegen die Nationalisten, doch der in Madrid regierende José Maria Aznar bereitet längst die nötigen Schritte für eine Stabilisierung des Waffenstillstands vor. Falls die ETA sich bereit erkläre, „für immer die demokratischen Spielregeln anzuerkennen“, schließt er selbst direkte Kontakte mit den Separatisten nicht mehr aus. Dabei könne es nur um die technische Abwicklung des Problems der Gefangenen und der Rückkehr der Illegalen ins zivile Leben gehen. Alles weitere müsse mit den politischen Kräften, EH eingeschlossen, besprochen werden.

Die Wahlen werden entscheiden, wie bei solchen Gesprächen die Kräfte verteilt sein werden. Die Meinungsforscher tun sich mit Vorhersagen schwer. Während das offizielle Baskische Institut überraschend EH nach der PNV als zweitstärkste Partei sieht, prophezeien die Madrider Tageszeitungen der PSOE spektakuläre Zugewinne. Nur in einem gleichen sich alle Studien: Die drei nationalistischen Kräfte zusammen kommen immer auf eine absolute Mehrheit. Reiner Wandler

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