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FISCHER MUSS SICH FÜR SEINE FRANKFURTER PUTZTRUPPE NICHT SCHÄMENDie Gewalt war beidseitig

Joschka Fischer hat sich entschuldigt. Aber warum? Die Gewalt auf Demonstrationen ging auch von der Polizei aus. Als ich an Demonstrationen „militanter“ Linker teilnahm, etwa beim Tod von Holger Meins und Ulrike Meinhof, gegen die Haftbedingungen der RAF-Gefangenen, gegen den Bau von AKWs oder gegen die Räumung von besetzten Häusern, da gab es gezielte Straftaten von Polizeihorden an Leuten, die aussahen wie Demonstranten. Jedem konnte es passieren, dass er von Polizeiverbänden zusammengeschlagen und – im schlechteren Falle – auch noch durch organisiert-meineidige Falschaussagen von Polizisten kriminalisiert wurde. Jedem konnten Steinwürfe oder „schwerer Landfriedensbruch“ angedichtet werden. Diese „Strategie“ zielte darauf ab, das Demonstrationsrecht der radikalen Linken durch Einschüchterung und Abschreckung auszuhöhlen.

Daneben gab es Polizeiführer und Mannschaften mit einem „gesunden“ Feindbild von uns. Sie suchten sich ihre Gegner, fanden sie im „linksradikalen“ Milieu und verfolgten uns. Wer in diesen Zeiten demonstrieren wollte, der tat gut daran, eine „Putztruppe“ zu bilden, um nie allein aufzutreten. Denn viele Polizeibeamte waren feige. Sie gingen – viktimologisch verständlich – gegen Einzelne vor, nie aber gegen eine verteidigungsbereite Gruppe. Die „Putztruppen“ dienten zunächst dazu, illegale und illegitime staatliche Gewalt zu verhindern. Denn Anzeigen gegen prügelnde Bullen führten nie zu Anklagen und Verurteilungen.

Selbstverständlich warteten die „Putztruppen“ nicht stets die polizeiliche Gewalt erst ab, sondern sie suchten ihr auch zuvorzukommen, sie waren nicht besser als ihr Gegenüber. Die Gewalt war nie einseitig, sondern beidseitig. Sie war aber auch auf der staatlichen Seite oftmals nicht legitim oder legal. „Ohne Bullen keine Gewalt“ war deshalb einer der „Schlacht“-Rufe jener Demonstranten, die die Gewalt verhindern wollten. Die Wahrheit dieser Parolen erkannten später aufgeklärte Polizeiführer: Sie entwickelten „Deeskalations“-Strategien. Sie mussten – auch das erweist die Gewalttendenz bei der Polizei in jenen Jahren – erst durchgesetzt werden, gerade gegen die „Haudruffs“ bei den Beamten.

Also: Die Gewalt war Bestandteil des historischen Konflikts. Sie war – wenn überhaupt – auf beiden Seiten illegitim, jedenfalls auf beiden Seiten illegal. Anlass für Entschuldigungen gibt es daher für keine Seite – sondern nur Anlass auf beiden Seiten, zu lernen und gesellschaftliche Konflikte ohne Gewalt auszutragen. JONY EISENBERG

früher Demonstrant, heute Rechtsanwalt

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