: Gebären ist Glaubenssache
Ob das Kind im Krankenhaus, in den eigenen vier Wänden oder im Geburtshaus zur Welt kommen soll, ist keine einfache Entscheidung. Viele Schwangere ziehen mittlerweile eine selbst bestimmte Geburt dem herkömmlichen Kreißsaal vor
von KIM KINDERMANN
Schon von Anfang an stand für Beate Richter fest, dass sie ihr Kind in einer Klinik zur Welt bringen will. In einer Klinik, an die eine Kinderabteilung gleich mit angeschlossen ist. „Alles andere ist mir zu unsicher“, sagt die 33-Jährige. „Ich arbeite selbst in einem Heim für behinderte Kinder und weiß daher, was es bedeutet, wenn bei der Geburt etwas schief geht. Da zählt wirklich oft jede Minute. Für mich war es deshalb nie eine Frage, im Geburtshaus zu entbinden.“
Für das Krankenhaus und gegen das Geburtshaus – eine Entscheidung, mit der Beate Richter nicht allein ist, denn deutschlandweit entbinden 97 Prozent aller Schwangeren im Krankenhaus. Dort, so glauben sie, ist im Notfall ihr Kind optimal versorgt und im Sicherheitsnetz einer Klinik bestens aufgehoben. Dem gegenüber steht allerdings zunehmend auch der Wunsch von Schwangeren nach einem selbst bestimmten Geburtsablauf in einer möglichst angenehmen Atmosphäre fern von aller Routine. Und so entscheiden sich zunehmend mehr Frauen für ein Geburtshaus oder eine Hausgeburt. Allein im letzten Jahr kamen von den neu geborenen 30.000 Kindern 1.100 in einem der acht Berliner Geburtshäuser zur Welt. Tendenz steigend.
„Frauen, die sich für ein Geburtshaus entscheiden, sehen in der Geburt weniger einen medizinischen Prozess als vielmehr ein psychosoziales Ereignis. Für sie ist eine intensive individuelle Zuwendung auch deshalb besonders wichtig“, erklärt Erika Neumeyer von der Koordinationsstelle der Geburtshäuser und fügt lachend hinzu: „Vierzig Prozent der Frauen, die sich für ein Geburtshaus entscheiden, üben selbst Heilberufe aus, das heißt, sie kennen die Krankenhausroutine aus eigener Erfahrung und wissen also ziemlich genau, was Gebärende da erwartet.“
Im Geburtshaus sorgen Pflanzen, Holzmöbel und warme Farbtöne für eine wohnliches Ambiente, in dem sich die Gebärenden – anders als in den meisten Kliniken – völlig frei bewegen können. Außerdem können die Frauen entscheiden, wer bei der Geburt dabei ist und vor allem auch, wie sie gebären wollen: ob liegend, sitzend oder hockend. „Ein entscheidender Vorteil in den Geburtshäusern aber ist, dass die Frauen eine Hebamme praktisch für sich allein haben“, betont Frau Neumeyer, „und zwar eine Hebamme, die sie bereits Monate vor der Entbindung kennen gelernt haben und die auch nach der Geburt regelmäßig auf Hausbesuch kommt.“
Und obwohl auch das in einer Klinik anders ist – schließlich müssen sich dort meist mehrere Gebärende eine Hebamme teilen –, gibt es gegenüber den Geburtshäusern bis heute immer noch Vorbehalte. Vorbehalte, die nicht selten auch von Medizinerseite geschürt werden. So warnen Ärzte immer wieder vor einem medizinischen Rückschritt, mangelnder Qualitätskontrolle und eingeschränkten diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten. Zudem verweisen sie gerne auf höhere Kindersterblichkeit, juristische Haftung und auf Notfälle, bei denen Mutter und Kind ins Krankenhaus verlegt werden müssen.
Dabei hat schon 1997 eine hessische Studie bewiesen, dass außerklinische Geburten genau so sicher sind wie Entbindungen in Krankenhäusern. Denn was viele Frauen oft gar nicht wissen, die Geburtshäuser selbst haben strenge Richtlinien, die festlegen, wer nicht im Geburtshaus entbinden kann. So werden Frauen, die bereits während ihrer Schwangerschaft Komplikationen haben, genauso an Kliniken verwiesen wie Frauen, die Mehrlinge erwarten oder deren Kind noch kurz vor der Geburt falsch liegt. Darüber hinaus arbeiten die Geburtshäuser eng mit Krankenhäusern zusammen, so dass die Frauen selbst noch unter der Geburt dorthin verlegt werden können, etwa wenn die Geburtswehen sich trotz bereits geplatzter Fruchtblase langfristig nicht einstellen oder sich die Herztöne des Kindes verändern.
Und nicht nur das: In einem Vergleich über die Kaiserschnitthäufigkeit in Berliner Kliniken sowie in den Geburtshäusern schneiden Letztere wesentlich besser ab. So liegt die Kaiserschnittrate im Geburtshaus bei 15, in Kliniken hingegen bei fast 50 Prozent. Auch das wissen nur wenige und so werden sich die meisten Schwangeren auch weiterhin für eine Geburt im Krankenhaus entschließen. Zumal die Finanzierung einer Geburt im Geburtshaus oftmals zu Lasten der Eltern geht, denn bis heute haben die Krankenkassen keine Verträge für die Übernahme der Betriebskosten mit den Geburtshäusern abgeschlossen. Und so müssen die Eltern 600 Mark zahlen, von denen sie meistens die Hälfte zurückerstattet bekommen. „Für die Eltern besteht kein Rechtsanspruch auf Kostenübernahme. Das ist immer wieder eine reine Einzelfallentscheidung“, erklärt Erika Neumeyer diesen Missstand. „Die Krankenkassen sagen zwar, sie würden die Kosten gerne übernehmen, wissen aber nicht, wo sie das Geld hernehmen sollen.“ Die einzige Möglichkeit – so die Krankenkassen – sei es, den Krankenhäusern die Kosten von ihrem Budget abzuziehen. „Da dies aber nicht geht, bekommen wir weiterhin keine Verträge.“
Und daran scheint sich auch in Zukunft nichts zu ändern, zumal die Krankenhäuser auf die sich ändernden Ansprüche der werdenden Mütter reagieren. Zunehmend bieten sie deshalb auch ambulante Geburten an, so dass die Frauen 4 bis 6 Stunden nach der Geburt das Krankenhaus wieder verlassen können. Vorausgesetzt, es treten keine Komplikationen auf. Die Frauen können während der Zeit in der Klinik auf alle medizinischen Möglichkeiten zurückgreifen, die ein Krankenhaus bietet. Allerdings tragen sie, sobald sie die Klinik verlassen haben und wieder zu Hause sind, ganz alleine die Verantwortung. Das müssen Frauen wissen, wenn sie sich für die ambulante Geburt entscheiden.
Der deutsche Hebammenverband rät daher, sich schon vor der ambulanten Geburt eine erfahrene Hebamme zu suchen, die die Vor- und Nachuntersuchung übernimmt und die möglichst gleich nach der Geburt zu Hause vorbeikommt. Doch eine Hebamme zu finden, ist nicht leicht und so sollte man frühzeitig mit der Suche nach einer geeigneten Hebamme beginnen. Schließlich bieten einige Berliner Kliniken an, die von der werdenden Mutter selbst ausgesuchte Hebamme zur ambulanten Entbindung mitzubringen.
Trotz aller Alternativen, für Beate Richter steht dennoch fest, ihr Kind in einem Krankenhaus zur Welt zu bringen. Die junge Frau will sich nach der Geburt in der Klinik erst noch ein wenig erholen können, bevor zu Hause der Babyalltag beginnt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen